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Die Reparatur der Ozeane

Der Kampf gegen die Zerstörung der Natur und den Klimawandel kommt nicht schnell genug voran. Aber einige Unternehmer, Wissenschaftler und Ingenieure arbeiten längst daran, die Erde mithilfe der Meere zu retten - und ein Geschäft daraus zu machen.

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An einem dieser Tage, an denen ihr das eigene Leben wie ein allgegenwärtiger Traum vorkommt, wankt Marit Miners über das Vordeck einer schweren Motoryacht. Das Boot zerschneidet eine aufgewühlte See, ihre Wellen krachen gegen den Bug, die Gischt geht wie ein Monsunregen über Vordeck und Oberdeck nieder. Miners tastet nach der Reling, die Hitze und das Salzwasser haben ihr Hemd und Short an den Leib geklebt.

"Wir sind bald da", sagt sie. Am Horizont, auf 2° Süd und 130° Ost, zeichnen sich unter einem endlosen Himmel die Silhouetten zweier Inseln ab.

Es ist ein Samstagnachmittag im Januar, Miners kommt gerade aus Europa zurück, sie war zwei Tage auf Flugzeugen und Schiffen unterwegs. Eine Familiensache zwang sie, West Papua zum ersten Mal für lange Zeit zu verlassen, seitdem sie dort vor 15 Jahren ein neues Leben angefangen hatte. Der Abstand hat ihre Ängste und Enttäuschungen etwas kleiner gemacht und ihren Stolz etwas größer. Es ist, sagt sie, als könnte sie sich allmählich sehen, wie andere sie sehen. Als eine Frau von 43 Jahren, schmal und mit ausgeprägten Wangenknochen, die in einem entlegenen Winkel der Welt an einem Wunder mitwirkt.

Wenig später steigt Miners von Bord der Yacht und läuft über einen langen Holzsteg. Im Hintergrund leuchtet eine Lagune in hellem Türkis, in der acht Holzbungalows mit wohnzimmergroßen Terrassen schwerelos über dem Wasser zu schweben scheinen. Das Wasser ist klar wie dünnes Glas, Fische in unzähligen Farben und Größen ziehen durch die Bucht, Oktopusse, Schildkröten, junge Riffhaie. An manchen Tagen patrouillieren die Haie im Dutzend.

Sie sind der Beweis, dass Marit Miners und ihr Mann etwas geschafft haben, woran die Vereinten Nationen seit Jahrzehnten scheitern. In Misool, einem Seegebiet im äußersten Osten Indonesiens, nähren sie die Hoffnung, dass die Menschheit eines ihrer großen globalen Probleme vielleicht doch lösen kann.

Der Mensch produziert mehr Müll und Gifte, als er unschädlich machen kann. Er holzt mehr Regenwälder ab, als nachwachsen. Er erzeugt mehr Kohlendioxid, als alle Pflanzen der Welt einatmen können. Das ist ein Grund, warum die Polkappen schmelzen und die Meeresspiegel steigen, warum Hitzewellen zunehmend Äcker und Waldböden austrocknen und heftige Stürme um die Welt tosen und Küstengebiete verwüsten.

Vor fünf Jahren einigten sich 195 Staaten auf einen Vertrag, der den jahrelangen Stillstand der Klimapolitik beenden sollte, das Pariser Klimaschutzabkommen. Inzwischen zeigt sich, dass der Kampf gegen den Klimawandel kaum vorankommt. Die USA haben das Abkommen aufgekündigt. Viele Länder, darunter Deutschland, wissen nicht, wie sie es schaffen sollen, im Jahr 2050 fast keinen Kohlenstoff mehr auszustoßen. Die Corona-Krise verschärft das Problem.

In dieser Lage denken Unternehmer, Wissenschaftler und Ingenieure sich Sachen aus, die verblüffend klingen, verwegen, manche verrückt. Eine Firma aus Kalifornien hat begonnen, Flugzeugtreibstoff aus Hausmüll herzustellen. In Neuseeland entwickeln Forscher eine Verdauungstablette für Rinder, damit die weniger Methan in die Atmosphäre rülpsen. Ein ehemaliger Professor der Universität Edinburgh will mit Spezialschiffen Meerwasser in den Himmel sprühen, damit es Sonnenlicht zurück in den Himmel reflektiert und so hilft, das Meer zu kühlen.

Es ist kein Zufall, dass die Ozeane in den Plänen zur Reparatur der Welt eine wichtige Rolle spielen. Sie ernähren fast eine Milliarde Menschen, sie kühlen die vom Kohlendioxid erhitzte Erde, aus ihnen stammt der Sauerstoff für jeden zweiten Atemzug, den ein Mensch nimmt. Die Meere sind die Klimaanlage und Kläranlage der Welt. Allerdings sind auch sie bedroht. Ihnen geht der Sauerstoff aus. Der Plastikmüll sammelt sich in fünf Strudeln, die meisten ein Vielfaches größer als Deutschland. Und die Fischereikonzerne haben ihre Fangmethoden so industrialisiert, dass manche Fischarten kurz davor sind, für immer zu verschwinden. Der Klimawandel, die Verschmutzung und die Überfischung sind die größten Probleme.

Einige Ideen, wie man diese Probleme lösen könnte, gibt es nur im Kopf eines Forschers oder Ingenieurs. Andere erweisen sich als teure Illusion. Manchmal aber gelingt, was eben noch unmöglich schien. Zum Beispiel auf einer Insel in West Papua, Indonesien, im Hamburger Hafen oder in einem dänischen Fjord.

Am Morgen nach ihrer Rückkehr steigt Marit Miners am Rand des Urwalds einen steilen Weg hinauf. Als sie das Hochplateau erreicht, liegt unter ihr die türkisfarbene Lagune mit den Stelzenbungalows und auf der anderen Seite ein langer Strand mit Palmen und Bambushäusern. Dahinter bis zum Himmel nur Wasser. Kein Mensch ist zu sehen. Ihr Mann ist auf dem Festland geblieben, er hat eine Woche voller Termine, die Urlaubsgäste sind mit kleinen weißen Motorbooten unterwegs zu ihren Tauchplätzen, die Angestellten räumen die Bungalows auf, sonst lebt niemand auf dieser Insel. Der Blick von hier oben, sagt Miners, sei einer der Gründe, warum sie ihre wackelige Existenz auf Spiel gesetzt und sich auf einen Versuch eingelassen hat, der ihr selbst größenwahnsinnig vorkam.

Miners und ihr Mann haben in einer Meeresgegend, die Fischer mit Schleppnetzen, Bomben und Chemikalien an den Rand der Auslöschung getrieben hatten, ein Resort gebaut und nach und nach eines der größten privat verwalteten Meeresschutzgebiete weltweit geschaffen. Sie haben kommerzielle Fischerei darin unter Strafe gestellt, das unterscheidet ihr Schutzgebiet von fast allen anderen.

An manchen Riffen wehen Fische heute in so dichten Wolken durchs Wasser, dass man als Taucher darin verschwinden und nichts anderes mehr sehen kann. Mal schießt ein Hai in eine dieser Wolken, die sich öffnen und wieder schließen, mal gleitet ein Mantarochen über sie hinweg, der mit seinen gewaltigen Schwingen alles Sonnenlicht zu verdecken scheint. Die Haie, Schwarzspitzen und Weißspitzen, groß wie ein Mensch und ungefährlich, paaren sich vor der Küste. Forscher haben dort dreimal so viele Fische, etwa 25-mal so viele Haie und Mantarochen gezählt wie vor wenigen Jahren, auch Riesenmantas, die anderswo als bedroht gelten. Der britische Naturforscher und Dokumentarfilmer David Attenborough nennt Misool "einen der wenigen Orte auf diesem Planeten, an denen die Artenvielfalt wieder zunimmt".

Die Geschichte, wie Miners sie erzählt, beginnt im April 2005.

Sie war damals Ende 20, lebte in Bangkok und jobbte als Designerin. Sie lernte einen Mann kennen, einen Engländer, der als Tauchlehrer auf einem Schiff arbeitete und durch Gegenden kreuzte, in die sonst kaum ein Mensch kam. Als er sie auf das Schiff einlud, überlegte sie nicht lange.

Sie war froh, dass sie ihr Anthropologiestudium beendet hatte und nicht mehr im Labor irgendwelche Mumien sezierte. Alles in ihrem Leben war akzeptabel, aber sie vermisste etwas, einen Sinn. Sie war in Schweden geboren, mit ihren Eltern in die USA gezogen, eine Kindheit immer nahe am Meer. Die Eltern hatten ihr beigebracht, die Natur als ein kostbares Geschenk zu betrachten. In letzter Zeit hatte sie oft daran gedacht. Die Zeitungen waren voller Berichte über schmelzende Gletscher, abgeschlachtete Wale und Ölteppiche im Meer.

Auf einmal war da ein Mann, der dachte wie sie, fühlte wie sie und ihr eine Welt eröffnete, die so anders war als die an Land, bunter, geheimnisvoller, voller seltener Tiere. Miners war von einem Zauber umschlossen. Dann brachte der Engländer sie nach Misool.

Wo heute das Restaurant ihres Resorts steht, sahen sie Zelte aus Palmenblättern und Planen, in denen Haifischjäger wohnten. Der Engländer erzählte ihr von den Haien, die oft im Wasser lagen, manchmal mehr, als er zählen konnte. Später zeigte er ihr Fotos und Filme, die er und Bekannte gemacht hatten, heute zeigt er sie manchmal seinen Gästen. Haie, die Augen und Mäuler aufgerissen, ihre verstümmelten Körper grotesk verrenkt. Die Haifischjäger schnitten ihnen die Flossen ab und warfen die zuckenden Leiber zurück ins Wasser. Die Flossen verkauften sie nach China, wo sie noch immer als Delikatesse und Heilmittel gelten.

Miners begriff, warum sie beim Tauchen kaum große Fische gesehen hatte. In manchen Gegenden war der Meeresboden übersät mit grauem Geröll, den Überresten von Korallen, die einmal wie farbenprächtige Skulpturen in der Strömung gestanden hatten. Sie waren zerfetzt von den Bomben der Fischer, zersetzt von ihrem Zyanid, krank von ihrer Maßlosigkeit. Wenn die Haie verschwinden, kann das wissenschaftlichen Studien zufolge das ganze Korallenriff töten. Zum einen haben kleinere Raubfische dann keine natürlichen Feinde mehr, sie vermehren sich und fressen Fische, die von Algen leben und so die Korallen sauber halten. Zum anderen fressen Haie kranke Fische. So verhindern sie, dass sich in ihrem Revier Schädlinge und Bakterien ausbreiten und die Korallen anfälliger werden. Das kann zu einer Korallenbleiche führen, die erst die Korallen und dann alles Leben in ihnen dahinrafft, wie es seit einiger Zeit in Australien passiert.

Der Engländer sagte, er habe einen Plan.

Im Juni, zwei Monate später, kündigte er seinen Job.

Im November saß er in einer Holzhütte mit Blechdach und unterschrieb ein Stück Papier.

Er hatte den Stammesführer und seine Großfamilie überzeugt, ihm die Insel und einen großen Teil des Meeres zu verpachten, das sie umgab. Sie waren einverstanden, dass er allen Fischfang darin verbieten wollte. Denn das Meer gab ihnen immer seltener, was es ihren Familien, ihrem Dorf seit Jahrhunderten immer gegeben hatte: Fische, Krabben, Oktopusse, Muscheln.

Nachdem der Engländer die Einheimischen überzeugt hatte, überzeugte er Marit Miners, seine Frau zu werden. So wurde sie Teil seines Plans.

"Andrew sieht immer zuerst das große Ganze, nicht die Probleme. Bei mir ist es eher umgekehrt", sagt Miners. Sie steht vor einem Gewächshaus, in dem sie neuerdings Salate und Kräuter für ihr Restaurant ziehen. Hinter ihr spannt sich ein Solarfeld bergauf, es wurde vergrößert, während sie weg war. Über den Himmel jagen Wolken.

Anfangs erzählte Andrew Miners seiner Frau, er wolle ein Zentrum für Meeresforscher und Aktivisten aus aller Welt bauen, die ihm helfen könnten, das Meer zu retten. Das Geld dafür könnten sie mit einer kleinen Hotelanlage verdienen, ein paar Holzhütten. Seine Begeisterung riss sie mit, auf ihre Fragen und Zweifel hatte er immer eine Antwort. Als seine Ideen immer größer wurden und teurer, erinnerte sie ihn an ein paar Tatsachen, die er mit Worten nicht aus der Welt schaffen würde. Er war ein Mann, den sie kaum kannte. Es ging um eine Gegend, die sie kaum kannte. Eine Sprache, die sie nicht sprach. Eine unbewohnte Insel, auf der es nichts gab als Urwald, nicht einmal fließendes Wasser. Sie hatten beide nicht die geringste Ahnung davon, wie man ein Resort führte oder baute. Dazu kam, dass sie kein Geld hatte und er eigentlich auch nicht.

Also flog er nach Bangkok, reiste nach England weiter, im Bauch des Flugzeugs mehrere Koffer voller gefälschter Markensurfshorts. Die wollte er verkaufen, um so etwas wie ein Startkapital zu organisieren. Die Sache ging schief. Schließlich zählte Miners seine Ersparnisse, lieh sich Geld von einem Freund und kehrte mit umgerechnet 15.000 Euro zurück.

Sie fuhren für eine Nacht in ein Luxusresort nach Bali und krochen mit einem Maßband durch ihre Zimmer, um eine Idee davon zu bekommen, wie ihre Bungalows aussehen könnten. Sie fingen an, Skizzen zu malen, fanden einen Zimmermann, schliefen in Zelten am Strand und duschten selten.
Marit Miners erzählt oft von dieser Zeit, auch wenn man sie nicht danach fragt. Der harten Arbeit. Den Hautausschlägen, die sie bekamen, weil sie wochenlang kaum etwas anderes aßen als Fertignudeln. Der Angst zu scheitern, "jeden Tag", sagt Miners. Wo sie die Mühen und Zweifel sieht, sehen andere, was sie erreicht haben.

Die Wissenschaft wusste längst, dass die Erde sich selbst heilen kann, wenn der Mensch es zulässt. Dann beginnt das Ozonloch in der Stratosphäre sich zu schließen, wachsen Regenwälder nach, erholen sich Fischbestände. Es braucht Zeit, oft Jahrzehnte. Was an Misools Beispiel vielleicht am meisten überrascht, ist: wie schnell es gehen kann. Und wie profitabel es ist.

Aus dem Wagnis ist eine Unternehmung mit einer Stiftung, mehr als 250 Angestellten und politischem Einfluss geworden. Miners und ihr Mann haben eine Stiftung gegründet, die regelmäßig Wissenschaftler nach Misool holt, Forschung und Meeresschutzprojekte finanziert. Ihre Fischfangverbotszone ist inzwischen zweimal so groß wie Singapur. Sie beschäftigen Ranger und Soldaten, die auf dem Meer patrouillieren und illegale Fischerei verfolgen. Sie haben Metallkäfige auf dem Meeresboden aufgestellt und Korallenableger darauf befestigt, um zerstörte Riffe aufzuforsten. Auch die Korallen wachsen schnell. Zudem bringen die Miners die Regierung dazu, Regeln und Gesetze zu ändern.

Im Nachhinein sieht alles einfach aus, fast folgerichtig. Die guten Absichten, die guten Geschäfte, von denen viele profitieren. Das Meer, die Miners, ihre Angestellten. Der Stammesführer, seine Großfamilie, ihre Dörfer. Die Fischer, die an den Grenzen von Misools Schutzzone erleben, dass sich ihre Netze plötzlich wie von selbst füllen. Eine Handvoll Resorts in der Gegend, die Misools Beispiel gefolgt sind. Der Gouverneur von West Papua und seine Regionalregierung, die sich mit den Erfolgsgeschichten schmücken und sehen, wie sie den Wohlstand vieler Dörfer mehren.

"Ich habe das Gefühl, dass es nie aufhört", sagt Marit Miners, als sie zurück in der Lagune ist und mit ihrem Manager die wichtigsten Aufgaben für die nächsten Tage besprochen hat. Die Solaranalage auf dem Berg soll bald genug Strom für die ganze Insel produzieren. Demnächst sollen die neuen Elektroboote geliefert werden, die sie nach ihren Vorstellungen entwickeln lassen. Doch sobald ein Problem gelöst ist, tut sich ein neues auf.

"Es kommt von dort." Miners deutet mit ausgestrecktem Arm über die Lagune hinweg auf einen buckeligen Felsen, der in der Ferne wie ein riesiger Wal im Meer liegt. Im Moment steht der Wind günstig, aber es gibt andere Tage. Dann spülen die Wellen Plastikbecher, Chipstüten, Flipflops heran. Miners hat Leute, die sich darum kümmern, dass ihre Gäste möglichst nichts davon mitbekommen. Ihre Stiftung hat Geld in eine kleine Recyclingfabrik auf dem Festland investiert, eine der wenigen im Umkreis von mehreren Hundert Kilometern, die Plastikabfälle sammelt und zu Granulat verarbeitet. "Wir versuchen, was machbar ist", sagt Miners. "Aber das eigentliche Problem können wir nicht lösen."

Günther Bonin schnauft, als er im Hamburger Hafen von einer Kaimauer auf seinen Katamaran springt. Es ist kurz nach zehn am Morgen, im Hintergrund funkelt die Elbphilharmonie, die Augen in Bonins wettergegerbtem Gesicht sind noch ziemlich klein. "Sorry, aber mit diesem Monster einen Parkplatz zu finden ist echt ein Krampf." Das Monster ist sein Wohnmobil, sieben Meter lang, das Bett mit Herzchen-Bettwäsche bezogen. Bonin reist darin seit einiger Zeit durch Europa, ein Missionar in eigener Sache.

Er war ein Mann, der alles im Leben erreicht hatte. Er beendete die Schule, zog nach München, gründete mehrere Firmen, kaufte ein Haus, heiratete, wurde Vater, kaufte ein Segelboot. Als er Mitte 50 war, verkaufte er alles, nur das Haus behielt er. "Ich hatte keinen Bock mehr", sagt er. Vor elf Jahren gründete er einen Verein, One Earth One Ocean, um die Welt zu retten. Bonin sagt das genau so, "die Welt retten". Die alte Angewohnheit, groß zu denken, hat er beibehalten.

Der Katamaran, auf dem er steht, ist Teil einer Meeresmüllabfuhr. Bonin hat kleine Boote entwickelt und etwas größere wie dieses, sie sind in einigen Ländern Asiens unterwegs. Seit einiger Zeit tüftelt er mit Ingenieuren am größten Schiffstyp seiner Flotte, einem Frachtschiff, das das Plastik einsammelt, sortiert und es dann an Bord mit einer Anlage zu schwefelfreiem Schiffstreibstoff verarbeitet.

Die Idee kam Bonin auf einem Segeltörn vor der amerikanischen Westküste. In einer stürmischen Nacht zogen große Plastiksäcke voller Müll an seinem Boot vorbei. "In Mengen, die mich umgehauen haben." Was ihn damals überraschte, ist heute gut erforscht. Jede Minute landet irgendwo eine Lkw-Ladung Plastik im Meer. Es sinkt in die Tiefsee, schwimmt durch die Arktis oder nach Misool.

Die Abfallteppiche, die Marit Miners sorgen, kommen größtenteils aus Sorong, einer Hafenstadt mit 230.000 Einwohnern, 165 Kilometer entfernt. Es gibt dort keine Müllverbrennungsanlage, die Stadtverwaltung lässt den Müll von Lastern in den Dschungel kippen. Viele Einwohner finden diese Müllabfuhr überflüssig. Denn durch ihre Stadt fließt ein großer Fluss.

Das alles hat mehr mit Deutschland zu tun, als es auf den ersten Blick erscheint. Denn Europa entsorgt ein Drittel seines Plastikmülls nicht selbst, es bringt ihn in großen Schiffen nach Asien, vor allem Deutschland. Am Ende landet er oft in Städten, die zu wenige Recyclingfabriken haben, wie Sorong. Das erklärt, warum etwa 90 Prozent des Plastiks in den Weltmeeren aus den zehn größten Flüssen Südostasiens kommen.

Plastik verschwindet nicht. Es zersetzt sich und zerfällt in kleine Stücke, das kann Jahrhunderte dauern. Die Stücke verteilen sich um den Erdball, ein großer Teil folgt den Strömungen und sammelt sich in fünf großen Strudeln. Im größten, dem Great Pacific Garbage Patch im Nordpazifik, haben sich angeblich 1,8 Billionen Teile, 80.000 Tonnen Plastik gesammelt. Forscher haben errechnet, dass in 30 Jahren mehr Plastik in den Meeren schwimmt als Fische, wenn nichts passiert.

Fische halten das Mikroplastik für Nahrung, sie fressen es, große Fische fressen kleine Fische. Am Ende liegt das Mikroplastik, unsichtbar, zum Beispiel in einer Fischtheke im Supermarkt. Jeder Mensch, das haben australische Forscher berechnet, isst pro Woche eine Kreditkarte.

"Das ist doch widerlich", sagt Bonin. Er zieht den Reißverschluss seines Anoraks unters Kinn, ein eisiger Wind klirrt durch den Hamburger Hafen. Es ist nicht lange her, dass die Leute ihn als Spinner belächelten, der erzählte, man könne fast drei Viertel der Erdoberfläche mal eben reinigen. Inzwischen lächelt kaum noch jemand. Ein junger Holländer namens Boyan Slat testet einen schwimmenden Riesenstaubsauger, den er mit etlichen Millionen Dollar aus dem Silicon Valley bauen ließ. Er will damit den Müllteppich im Pazifik beseitigen. Ein deutsches Forscherteam will das mit einer Anlage schaffen, die aussieht wie ein gigantischer Kamm aus der Zukunft.

Bonin hatte keine teure Technik, keine Taskforce aus namhaften Wissenschaftlern, die ihn beriet. Trotzdem ist er derjenige, der fassbare Erfolge vorweisen kann und die Hoffnung rechtfertigt, dass der Meeresmüll ein Millionengeschäft werden könnte.

Seit zwei Jahren tuckern seine kleinsten Boote, die "Seehamster", mit Schrittgeschwindigkeit durch einen Fluss im Westen Kambodschas. An ihrem Bug ist eine Metallrampe montiert, sodass das Wasser den Müll aufs Boot drückt. Dort lesen Männer ihn auf und sortieren ihn mit ihren Händen in vier Müllcontainer. Jeden Tag holen sie so mehr als eine Tonne Abfall aus dem Wasser. Die Männer auf seinen Booten leben an diesem Fluss. Sie säubern das Wasser, in dem ihre Kinder baden und das ihre Frauen in Eimern nach Hause tragen, um zu kochen. Davon leben ihre Familien, dafür zahlt Bonin. Inzwischen helfen ihnen die Fischer, die Leute auf der Straße bedanken sich für ihre Arbeit.

"Der erste Schritt, so fängt es an", sagt Bonin. Der Müll soll mehr und mehr Familien ernähren. Für einen Teil des Plastiks hat er Abnehmer im Land gefunden, die Folien daraus machen. Als Nächstes will er den Einheimischen beim Bau einer Recyclinganlage helfen, zusammen mit einem Hamburger Folienhersteller. In den nächsten Monaten wird er Seehamster nach Phnom Penh und Siem Reap bringen. Drei andere sollen bald in Bekasi, einer Millionenstadt in Indonesien, den Citarum säubern. Er gilt als dreckigster Fluss der Welt. Das Vorhaben zahlt ein deutscher Handelskonzern, dem die Supermarktkette Lidl gehört. Auch dort wird eine örtliche Entsorgungsfirma den Müll recyceln und zu Geld machen.

"Die Industrie rennt mir die Bude ein", sagt Bonin. Kleine Firmen, Konzerne, alle wollten jetzt was mit Meeresmüll machen. Wie Marit und Andrew Miners hat Bonin einen Weg gefunden, aus der Rettung der Welt eine Geschäftsidee zu machen, von der alle etwas haben. Er selbst, sagt Bonin, wolle nichts verdienen.

Am Nachmittag sitzt Marit Miners auf einer überdachten Terrasse mit Meerblick, dahinter nur Urwald. Sie ist umgeben von Gästen, die auf ihr Essen warten. Ihr Blick sucht einen hünenhaften Mann, der seit Tagen ein Funkgerät mit sich herumträgt, wohin er auch geht. Er ist eigentlich der Manager des Resorts, im Moment ist er der Einsatzleiter einer heiklen Operation.

Seit einigen Tagen laufen Soldaten in Uniform und schweren Stiefeln durchs Resort, an ihren Schultern baumeln Schnellfeuerwaffen. Auf dem Meer plärren die beiden Zweitaktmotoren eines kleinen weißen Boots, in dem Mato Husain und vier seiner Kollegen mit ernsten Gesichtern durch die Wellen brettern.

Husain, ein kleiner Mann mit kurzen krausen Haaren und Oberlippenbart, gehört einer Sondereinheit an. Sie sind Ranger, Soldaten der indonesischen Armee, Beamte der Marinepolizei, 28 Männer, dafür bezahlt, Misools Schutzzone zu sichern. Im Moment halten sie Ausschau nach einem Fischerboot, das alle paar Tage im verbotenen Gebiet auftaucht. Erst gestern haben Husain und seine Kollegen es wieder entdeckt. Zu nah, um es zu übersehen; zu fern, um es einzuholen.

Husain wohnt mit ein paar anderen Rangern in einer kleinen Holzbaracke, etwa 20 Bootsminuten von Misool entfernt. Die Insel, die Marit und Andrew Miners gepachtet haben, gehört seiner Familie. Schon deshalb, sagt er, sei sein Job für ihn nicht irgendeiner. Dann erzählt er von seiner Kindheit.

Damals, vor etwa 30 Jahren, tauchten am Horizont immer mehr Schiffe auf, große Schiffe, sie kämen aus Borneo und Sulawesi, sagten die Alten im Dorf. Er hörte den Donner der Bomben, die die Männer ins Meer warfen, die Druckwellen betäubten Fische, töteten Fische, töteten nahezu alles, was nicht weit genug entfernt war. Als die Männer ihre gewaltigen Netze einholten, quollen die über. Dann, sagt Mato Husain, machten sich die Haifischjäger in Buchten breit. Manche Fischer aus seinem Dorf kehrten abends mit leeren Netzen zurück.

"Diese Leute", sagt Mato Husain, "haben uns unsere Lebensgrundlage gestohlen." Daran denke er oft, wenn er auf dem Boot steht, die Mittagssonne auf ihn herunterbrennt und er, das Fernglas vorm Gesicht, die dünne Linie zwischen Wasser und Himmel nach Punkten absucht, die sich bewegen. Er denke an seine Kinder und die Zukunft, die zwei Fremde ihnen eröffnet haben.

Sie brachten ihm bei, mit einer Pressluftflasche zu tauchen, ließen ihn zu einem Unterwasserberg bringen, den sie Magic Mountain nennen. "So viele Farben", sagt Husain. Er sah Korallen, die groß waren wie manche Hütten in seinem Dorf, und Rochen, die wie Gottheiten um den Unterwasserberg herumsegelten. Erst da, sagt Mato Husain, habe er verstanden, wie reich seine Familie und sein Dorf tatsächlich waren.

Inzwischen sind das Fischen mit Dynamit und die Jagd nach Haifischflossen in Indonesien verboten. Ein paar Fischer mussten für mehrere Jahre ins Gefängnis, eine neue Ministerin ließ ausländische Fischerboote versenken, nachdem die Küstenwache die Besatzung von Bord geholt hatte, eines nach dem anderen. Mato Husain sagt, die Fremden hätten endlich verstanden. Den letzten großen Fall hätten er und seine Kollegen vor vier Jahren gehabt. Einen Fischkutter, mit fünf ausgeworfenen Netzen, jedes mehrere Kilometer lang. Sie funkten sofort ihre Chefs an.

Als Marit und Andrew Miners damals die Motoren ihres Boots abschalteten, legten sie Masken und Schnorchel an, sprangen ins Wasser und schnitten mit Messern Haie aus dem Netz, die noch lebten. Später, auf dem Kutter, sahen sie Hunderte Flossen und Rochenkiemen, die zum Trocknen auf großen Regalen lagen, aufgebahrt wie auf einem Fischmarkt. Es gibt noch Filmaufnahmen davon.

Das Fischerboot, das sie nun alle in Aufregung versetzt, sagt Marit Miners, das sei eine andere Geschichte. "Diesen Leute geht es nicht ums Fischen, ihnen geht es um Macht", sagt Mato Husain.

Misool steht im Zentrum einer Clanfehde. Jahrelang stellte niemand infrage, dass Mato Husains Familie Eigentümer Misools und des zugehörigen Seegebiets ist. Als das Resort der Miners in Misool zu wachsen begann, Hütte um Hütte, zog eine andere Großfamilie aus der Gegend vor Gericht. So kam es, dass vor zwei Jahren ein Richter des obersten indonesischen Gerichtshofs mit den Abgesandten zweier Familienclans über ihre Insel stapfte, eine Hundertschaft auf der Suche nach dem Corpus Delicti: der ältesten Kokospalme. Wer einst die erste Palme pflanzte, sagten die Kläger, der habe die Insel kultiviert, dem gehöre sie auch.

Auf der überdachten Terrasse überlegt Marit Miners einen Moment, sie will nichts Falsches sagen. Also sagt sie nichts. Der Richter hat schließlich entschieden, dass Mato Husains Familie rechtmäßiger Besitzer des Gebiets ist und alles bleiben kann, wie es ist. Miners wartet wie Mato Husain darauf, dass er endlich auf die Insel kommt, um sein Urteil zu verlesen. Dann erst ist es rechtskräftig. Marit Miners sagt, es seien andere Dinge, die sie nachts wach liegen lassen.

Es sieht so aus, als wäre das Gute nicht ohne das Schlechte zu haben. Die Touristen haben mit ihrem Geld dazu beigetragen, eine Auslöschung zu verhindern. Nun sind sie zu einer Gefahr geworden. Das Internet und billige Flüge haben die Welt kleiner gemacht. Misool ist kein unerreichbarer Ort mehr, von dem nur ein paar Eingeweihte wissen. Die Taucher wurden mehr und mehr. Die meisten kommen nicht in die Lagune, in das Resort der Miners. Sie kommen auf Schiffen, Hunderte, jeden Tag. Diese Boote werfen schwere Anker in geschützte Riffe, sie laufen auf Grund, vor allem haben die meisten keine Tanks, in denen sie ihr Abwasser sammeln. Sie leiten alles ins Meer.

Das Coronavirus wird das verändern. Ab Mitte März wird die Regierung keine Touristen mehr ins Land lassen. Miners und ihr Mann werden ihr Resort schließen, ein paar Wochen früher als sonst, bevor die Monsunsaison anbricht. Im September wollen sie wieder aufmachen. Marit Miners wird sagen, sie würden auch länger durchhalten. Wie andere ist sie sicher, dass das Problem in der Zwischenzeit nicht einfach verschwindet.

Sie und ihr Mann haben sich mit den Betreibern anderer Resorts und Meeresbiologen zusammengetan. Seit Monaten bearbeiten sie die Regierung, in Einzelgesprächen, Sitzungen in großer Runde. Eines ihrer wirkungsvollsten Argumente ist das viele Geld, das auf dem Spiel steht, für alle. So erzählt es Marit Miners, so erzählen es andere, die dabei waren. Denn Forscher haben in Misool und anderen Gegenden des Korallendreiecks ungewöhnlich viele Algen und Dornenkronenseesterne im Meer gefunden. Es sind Vorboten des Todes, sagen sie. Anderswo habe es ähnlich angefangen.

In Florida verwandeln Algen in manchen Sommermonaten Teile der Küste in eine Todeszone. An weißen Stränden, die jedes Jahr Millionen Touristen angelockt haben, türmen sich tote Fische, Schildkröten, Delfine und Seekühe.

In der Chesapeake Bay, an der Ostküste Amerikas, ist von einer der größten Austernbänke der Welt nicht mehr viel übrig. Der wirtschaftliche Schaden, für eine Industrie und die Region, gehe in die Milliarden, sagen Ökonomen.

In der Ostsee hat sich eine Zone ohne Sauerstoff, ohne Leben gebildet, sie ist doppelt so groß wie Belgien. Der Dorsch ist dort vom Aussterben bedroht. Ein Fisch, von dem Hunderte Fischereibetriebe und ganze Gemeinden an der Küste abhängen.

Seit Jahrzehnten fließen Abwässer, Fäkalien und Dünger ins Meer, in großen Mengen. Sie locken Algen, die Algen wachsen in kürzester Zeit zu gewaltigen Teppichen heran, die auf der Wasseroberfläche schwimmen, kaum Licht durchlassen und alles Leben darunter ersticken.

Wenn eine Meeresgegend einmal stirbt, warnen Wissenschaftler, dann ist sie für lange Zeit verloren. Dann gebe es wenig Hoffnung. Es sei denn, der Mensch findet Wege, die Natur mit ihren eigenen Mitteln zu überlisten.

In einem Fjord an der dänischen Ostseeküste steht Nele Wendländer bis zum Bauch in milchigem Wasser. Sie hält ein grünes Büschel in den Händen, das sie ansieht wie eine Mutter ihr Neugeborenes. Zostera marina, Seegras. Alle paar Tage steigt sie in Odense in einen dunkelblauen Transporter ihrer Universität, fährt über die Autobahn und rumpelt dann auf einem Feldweg hinunter ans Ufer des Fjords. Jedes Mal begleitet sie die Furcht, dass etwas schiefgegangen sein könnte. Jedes Mal, wenn sie zurückfährt, fühlt sie sich leichter.

Wendländer, 30 Jahre alt, in Hamburg aufgewachsen, und ein paar Meeresbiologen ihrer Universität sind dabei, das Geheimnis einer Superpflanze zu entschlüsseln. Der Horsens Fjord ist eingerahmt von Maisfeldern, Haferfeldern, Roggenfeldern. Auch hier flossen jahrelang so viele Abwässer ins Meer, dass erst die Seegraswiesen verschwanden und dann die Fische, Garnelen und Muscheln.

Seegraswiesen ernähren Fische, Krebse, Garnelen, Schildkröten, sie bieten jungen Tieren Schutz und Fischern reiche Fanggründe. Sie bremsen die Wucht der Wellen, so schützen sie die Küstenorte vor Überschwemmungen. Außerdem filtern sie Nitrate und Phosphate aus dem Wasser. Wenn es zu viel wird, sterben sie. Und dann, so dachte man, kommen sie nicht wieder.

Seit mehr als 50 Jahren versuchen Wissenschaftler rund um den Erdball, Seegras zu züchten, zu verpflanzen, aufzuforsten. Es gab kleine Erfolge im Atlantik und noch kleinere in der Ostsee.

Vor zwei Jahren aber flog Wendländer mit ihrem Professor und einem Kollegen nach Singapur, zur Internationalen Seegraskonferenz. Dort erklärten sie in einem Saal vor 600 verblüfften Fachleuten, was sie geschafft hatten.

Sie hatten gefilmt, wie sie mit Masken und schwarzen Neoprenanzügen über sandigem Meeresboden tauchten und mit Schaschlikspießen kleine Flecken Rollrasen in den Sand steckten, Tausende Male, Setzling für Setzling. Als sie fertig waren, spannten sie ein Netz mit engen Maschen drum herum, damit Krebse die Wurzeln nicht gleich abfraßen. Nach einem Jahr filmten sie mit einer Drohne den Fjord. Ihre Seegraswiese sah nun aus wie ein Schachbrett, mit hellen und dunklen Quadraten. Da ihr Versuch erst dann erfolgreich wäre, wenn das Seegras ohne Hilfe überlebte, holten sie das Netz ein.
Heute, zwei Jahre später, watet Wendländer auf einem dichten Band aus grünen Büscheln durchs Wasser. Ihr Seegras wächst in diesem und vier anderen Fjorden, auf einer Fläche von insgesamt zehn Quadratkilometern.

Inzwischen glauben Wendländer und ihre Professoren, glauben auch andere Forscher, dass der Mensch Seegras sogar einsetzen könnte, um den Klimawandel zu bremsen. Denn Seegras wandelt Kohlendioxid in Sauerstoff um, wie Bäume und Wälder. Wissenschaftler schätzen, dass Meerespflanzen wie das Seegras etwa die Hälfte allen Sauerstoffes auf der Erde bilden. Dazu kommt, dass Wiesen, Bäume und Tiere alles gespeicherte Kohlendioxid wieder in die Atmosphäre abgeben, wenn sie sterben. Seegras nicht. Die Strömung reißt es mit in die Tiefen der See, dort versinken die Grasreste im Sediment. Der Kohlenstoff verschwindet nicht, aber er ist an einem Ort eingelagert, an dem er keinen Schaden verursacht.

Im Horsens Fjord schlägt Nele Wendländer die Heckklappe des blauen Transporters zu. In den nächsten Tagen wird sie im Labor die Bodenproben untersuchen, die sie genommen hat. Sie steigt auf den Fahrersitz, fährt den Feldweg hinauf und gönnt sich den Gedanken, dass dieser Fjord erst ein Anfang ist, Teil von etwas Großem. "Es wäre fantastisch, wenn wir Seegraswiesen überall dorthin zurückbringen könnten, wo sie früher mal gewachsen sind." Sie findet, es ist an der Zeit, dass Regierungen einige wichtige Entscheidungen treffen.

Das Meer ist, trotz aller internationaler Abkommen und nationaler Gesetze, bisher ein rechtsfreier Raum. Die Länder der Europäischen Union haben vor 20 Jahren gemeinsam beschlossen, ihre Meere, Flüsse und Seen zu schützen, bisher hält allerdings keiner der 27 Mitgliedstaaten die Vorgaben ein. Vor zehn Jahren haben die Vereinten Nationen sich vorgenommen, bis zum Jahr 2020 zehn Prozent der Weltmeere unter Schutz zu stellen. Geschafft haben sie weniger als vier Prozent. UN-Diplomaten streiten seit Jahren um ein Hochseeabkommen, das zumindest die Voraussetzungen für neue Gesetze schaffen soll. Wenn es stimmt, was einige der Unterhändler sagen, dann wäre es schon ohne die Corona-Krise kompliziert geworden. Nun, sagen sie, werde es noch schwieriger.

Es hängt letztlich alles zusammen, Misool, die Bauern in Dänemark, die Fischer in Mecklenburg-Vorpommern, die große Politik. Die Politik ist langsam, andere sind schnell. Marit Miners, Günther Bonin und Nele Wendländer haben Ideen verfolgt, die sich verselbstständigt haben. Sie bekommen Anfragen von Menschen, die mit ihnen Geschäfte oder für ihre Beratung zahlen wollen. Sie glauben, dass die Rettung der Welt möglich ist, wenn alle etwas davon haben. Es klappt nur, wenn wir den Bauern helfen, sagt Wendländer. Alles ist denkbar, wenn sich damit Geld machen lässt, sagt Bonin. Alle Seiten müssen profitieren, sagt Miners.

Am Ende eines langen Tages bindet Marit Miners ein Ruderboot vom Holzsteg los, erreicht mit wenigen Schlägen die Nachbarinsel und steigt die Treppe zu einer weiß gestrichenen Holzhütte hinauf. Am Himmel steht eine schmale Mondsichel. Miners sieht die Lichter ihres Resorts nicht mehr, alle Stimmen sind verstummt. Die Hütte, sagt sie, ist ein Versuch. Sie hofft, sich ein Gefühl zu bewahren. Die Überwältigung, mit der alles begann.

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Kasten:

Corona und die Folgen für das Klima

Viele Fabriken stehen still, der Ausstoß von Treibhausgasen geht deutlich zurück, Satellitenbilder von China und Fotos von Fischen in plötzlich klaren Kanälen Venedigs gehen um die Welt. Alles eine Folge der Corona-Krise. Ist das die Lösung der Umweltprobleme, wie verschiedene Medien jubelten? Eher nicht. Dirk Messner, Chef des Umweltbundesamtes, spricht von einem vorübergehenden „Einmaleffekt“, einer Pause also. Sobald das Leben und die Wirtschaft wieder normal laufen, erwarten Fachleute die Probleme zurück, zum Beispiel den zu hohen CO2-Ausstoß. Sie glauben, dass die Corona-Pandemie der Umwelt sogar zusätzlich gefährlich wird.
Denn: Der Klimaschutz, weltweit über Monate hinweg eines der großen Themen, ist in den Hintergrund gerückt. Regierungen werden sich in den kommenden Monaten darauf konzentrieren, die wirtschaftlichen Folgen dieser Krise so gering wie möglich zu halten. In Deutschland hat die FDP schon gefordert, die Einführung des CO2-Preises zu verschieben. Die europäische Autoindustrie verlangt von der EU, ihre Klimaziele auszusetzen, US-Präsident Donald Trump hat ein zwei Milliarden Dollar schweres Konjunkturprogramm aufgelegt. Ein großer Teil dieses Geldes soll in die Ölindustrie fließen.
Eigentlich sollte 2020 ein wichtiges Jahr für den Klima- und den Meeresschutz werden: Mehrere Konferenzen und Abkommen waren geplant – und werden nun vermutlich ins nächste Jahr verschoben. Seit dieser Woche steht fest, dass auch der Weltklimagipfel verschoben wird. Er sollte im November im schottischen Glasgow stattfinden. Dort wollte die Staatengemeinschaft ambitioniertere Klimaziele beschließen.

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Einschübe:

450 Jahre braucht eine PET-Flasche, um zu zerfallen: Jedes Stück Kunststoff, das in den vergangenen 50 Jahren hergestellt wurde und ins Meer gelangte, ist dort noch. Quellen: Umweltbundesamt, Bundesumweltministerium

500 Todeszonen gibt es weltweit in den Weltmeeren. Das sind Gebiete, in denen der Sauerstoffanteil geringer als zwei Milligramm pro Liter ist. Seit 1950 ist die Sauerstoffmenge um zwei Prozent oder 77 Milliarden Tonnen zurückgegangen. Quelle: Science

90 Prozent der globalen Fischbestände sind maximal genutzt oder überfischt. Die meisten Bestände könnten sich durch kluges Fischereimanagement innerhalb von einigen Jahren erholen. Einige Meerestierarten sind dagegen vom Aussterben bedroht und können vermutlich nur durch ein komplettes Fangverbot gerettet werden Quellen: Welternährungsorganisation World Economic Forum

Wie die Geschichte entstand: Unsere Reporter waren in Indonesien tauchen, in zwei Naturschutzgebieten, deren Riffe zu den intaktesten der Welt zählen. Trotzdem sahen sie dort zerbombte Riffe, kranke Korallen und Schildkröten, die an Plastiktüten kauten. Dort entstand die Idee. Sie interviewten Meeresbiologen, besuchten Ozeankonferenzen, lasen Studien und Dokumente. Sie stießen auf Dutzende Projekte, die helfen wollen, die drängendsten Umweltprobleme zu lösen. Wie die der Protagonisten dieser Geschichte, die sie in Hamburg, Dänemark und in Misool besuchten. Um Recherchen abzusichern, sprachen sie mit Wissenschaftlern, Einheimischen und den Inhabern anderer Resorts in West Papua. Auch von ihnen ließen sie sich Dokumente, Filme und Fotos zeigen.

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Bildunterschriften:

Die wundersame Rückkehr der Haie: Unternehmerin Marit Miners in der Lagune von Misool

„So fängt es an“: Gründer Günther Bonin und seine Müllsammelschiffe in Kambodscha und der Hamburger Hafencity. Das Plastik, das er aus Flüssen holt, wird unter anderem zu Tüten verarbeitet

„Größenwahnsinniger Plan“: Marit Miners in ihrem Resort. Ihre Ranger, darunter Mato Husain am Fernglas, überwachen ein Meeresschutzgebiet

Das Geheimnis der Superpflanze entschlüsseln: Seegrasforscherin Nele Wendländer im Horsens Fjord an der dänischen Ostseeküste

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