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Der Artikel zeigt auf, wie systematisch die Landes- und Bundesbehörden eklatante Missstände in Teslas Fabrik in Grünheide nicht nur dulden, sondern auch kaschieren, um ihr politisches Vermächtnis nicht zu gefährden. Es gebe eine Häufung von Arbeitsunfällen durch immensen Arbeitsdruck und Austritte von Gefahrenstoffen im Wasserschutzgebiet, Tesla allerdings solle sich selbst kontrollieren. Die Vorwürfe sind aus den USA bekannt.

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Außer Kontrolle

Am Rande Wolfsburgs läuft ein Mann mit schwarzem T-Shirt aufgekratzt in seiner kleinen Mietwohnung hin und her. Tayfur Karaboga denkt auf der Frage herum, ob er seinen früheren Chef Elon Musk und dessen Weltkonzern hasst oder doch noch liebt. Auf seinem Shirt leuchtet rot ein Schriftzug des Autobauers Tesla. Im Wohnzimmer rieselt türkische Harfenmusik aus Lautsprechern. Sie habe ihn schon als Kind beruhigt, sagt Karaboga. Leider klappe das nun nicht mehr. Denn Tesla habe ihm seinen Job genommen, seine finanzielle Sicherheit und ein wenig auch seine Würde. So zumindest sieht er es. Er möchte trotzdem gern wieder dort arbeiten.
Auf der Lichtung eines brandenburgischen Kiefernwalds öffnet André Bähler den wuchtigen Metalldeckel eines Brunnens. Bähler, groß und grauhaarig, ist der Chef des örtlichen Wasserversorgers. Die Schatten in seinen Augenhöhlen erzählen von unruhigen Nächten, die er zuletzt öfter hatte. Denn unter dem Metalldeckel liegt ein Grundwasserbrunnen. Auf dem Weg dorthin fließt das Wasser unter Teslas erster deutscher Fabrik hindurch. Bähler fragt sich deshalb, wie lange er den Menschen im Osten Brandenburgs noch sauberes Trinkwasser garantieren kann.
An einem Sonntagmittag schreitet der Bundeskanzler im Schwarm seiner Entourage durch ein Foyer im Südosten Berlins. Olaf Scholz ist auf dem Weg zum Kongress einer großen Gewerkschaft. Er lächelt, als belustige ihn etwas. Als zwei Reporter ihm eine für einen Spitzenpolitiker gefährliche Frage stellen, lässt er sie stehen.
Was er über die vielen Unfälle wisse?
Im November 2019 verkündete Elon Musk, einer der reichsten Männer der Welt, er werde seine erste „Tesla Gigafactory“ Europas vor den Toren Berlins bauen. Schon bald würden dort jedes Jahr eine halbe Million Elektroautos vom Band laufen und 12 000 Arbeitsplätze entstehen. Am Ende wurde es Grünheide, brandenburgische Provinz. Und es schien, als könnte Tesla für die Region werden, was Volkswagen für Wolfsburg ist. Ein Garant des Wohlstands.
Der Bürgermeister sprach von einem „Lottogewinn“, Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke sagte, sein Land sei „hungrig nach Industrie“. Im März vergangenen Jahres eröffnete Musk die Fabrik. Sein Konzern war da längst mehr wert als die drei deutschen Autobauer Volkswagen, Mercedes und BMW zusammen.
Inzwischen produziert Tesla in Grünheide seit gut anderthalb Jahren sein Model Y, eines der meistverkauften Autos der Welt. Nun zeigen Recherchen [des Mediums], zu welchem Preis das geschieht. Das Werk gefährdet Mitarbeiter, Umwelt und Anwohner. Ein Reporterteam hatte Einblicke in die Fabrik, die Tesla nahezu abschottet wie ein Gefängnis. Es hatte Zugang zu umfangreichen Behördendokumenten. Und hat mit Dutzenden Mitarbeitern des Landes Brandenburg und mit Menschen gesprochen, die als Produktionsarbeiter, Werksfeuerwehrleute oder Müllmänner in der Fabrik tätig sind oder waren. Zudem waren zwei Journalistinnen einige Zeit als Produktionshelferinnen in das Werk eingeschleust.
Die Recherchen zeigen, dass dort fast täglich Unfälle passieren, bei denen sich Arbeiter auch schwere und schwerste Verletzungen zuziehen. Hinzu kommt ein teils nachlässiger Umgang mit Giftstoffen, mit Ölen und Diesel, die im Erdreich eines Trinkwasserschutzgebiets versickern. Experten fürchten um die Versorgung der gesamten Region. Sie sei womöglich auf Jahrzehnte hinaus gefährdet.
[Das Medium] hat Tesla mit seinen Recherchen und den Vorwürfen der Mitarbeiter konfrontiert. Der Konzern reagierte nicht. Das passt ins Bild. Denn es sieht so aus, als hätte Musks Unternehmen mithilfe von Politikern und Brandenburgs Behörden ein System des Schweigens geschaffen.
Der Techniker Tayfur Karaboga verlor seinen Job in der Gigafabrik, nachdem er auf Sicherheitsmängel hingewiesen hatte.
Auch der Wassermanager André Bähler ist sein Amt womöglich bald los. Einige Bürgermeister aus der Region wollen ihn absetzen. Bähler sagt öffentlich, welche Gefahr Teslas Werk seiner Ansicht nach für die Region bedeute.

1. Der Klub der Visionäre

„Seien Sie versichert, dass alle Partner
im Land Brandenburg Ihr Investitionsvorhaben in höchstem Maße
begrüßen und nach allen Kräften auf Dauer unterstützen werden.“
Brief Dietmar Woidkes an Tesla, 28. August 2019

Im Spätsommer 2019 bekam André Bähler, Chef des Wasserverbands Strausberg Erkner, eine Mail des brandenburgischen Wirtschaftsministeriums. Wenige Wochen später betrat er in Potsdam einen Konferenzsaal, in den 26 Männer und Frauen eingeladen waren, streng vertraulich. Wirtschaftsminister Jörg Steinbach war da, Mitarbeiter von Ministerien und Behörden, dazu einige Manager Teslas. An jenem Morgen erfuhr Bähler, dass Tesla Europas größte Fabrik für Elektroautos in Brandenburg bauen wollte. Und Grünheide, knapp 9000 Einwohner, östlich von Berlin gelegen, war unter den letzten zehn Bewerbern. So erinnert sich Bähler, so erinnern sich andere Beteiligte.
Bähler ist in Brandenburg geboren. Ihm gefiel der Gedanke, dass ein Arbeitgeber von Weltrang in die Region kommt. Was ihn sorgte, war der Ort. Grünheide liegt in einer der trockensten Regionen Deutschlands. Wasser war auch ohne Tesla schon knapp. Zudem befindet sich das Gelände, 392 Fußballfelder groß, in einem Trinkwasserschutzgebiet, das 170 000 Menschen versorgt. Und keine zwei Kilometer von der geplanten Fabrik entfernt gewinnt Bählers Verband ein Drittel des Trinkwassers für die gesamte Region.
Jede Verunreinigung kann dort gravierende Folgen haben. Das Grundwasser fließt in ungewöhnlich geringer Tiefe zu den Brunnen, in höchstens sieben Metern. Und es gibt keinen belebten Oberboden und keine Tonschicht wie anderswo, die einsickernde Stoffe filtert und reinigt. Die Wasserschutzverordnung verbietet deshalb, in diesem Gebiet mehr als 50 Kühe zu halten. Ihre Exkremente könnten das Grundwasser verseuchen.
Ausgerechnet dort also sollte eine Autoproduktion unbedenklich sein, die unvermeidlich und bei allen Herstellern hochgiftige Gefahrenstoffe erzeugt?
Bähler sagt, er sei während des Treffens im Ministerium gefragt worden, ob er Einwände gegen die Autofabrik habe. Er habe gesagt, es sei grundsätzlich denkbar, sie in der Schutzzone zu bauen. Allerdings nur, wenn Tesla höchste Sorgfalt an den Tag lege und einen geschlossenen Wasserkreislauf schaffe. Kein Regenwasser dürfe im Boden versickern, schon gar nicht Löschwasser mit Chemikalien. Das Werk des Konkurrenten Mercedes-Benz, gut eine halbe Stunde südwestlich ebenfalls in ein Wasserschutzgebiet gebaut, schien ja zu zeigen, dass ein verantwortungsvolles Unternehmen all das gewährleisten konnte. Teslas Manager hätten sich alles notiert, sagt -Bähler.
Im November 2019 besiegelten Wirtschaftsminister Steinbach und Elon Musk im Berliner Luxushotel Adlon den Deal. Und in Grünheide, Potsdam und dem Berliner Regierungsviertel waren Politiker begeistert. Der Pannenflughafen BER hatte Deutschland in aller Welt zum Gespött gemacht. Nun gab es die Chance, in der Nähe einen global agierenden Konzern anzusiedeln, der die Autoindustrie revolutioniert.

Die damalige Bundesregierung und ihr Wirtschaftsminister versprachen sich und den Bürgern viel. Von Teslas Werk profitierten alle, sagte Peter Altmaier. Tatsächlich sprach einiges dafür. Die globale Autoindustrie steckt im Umbruch, sie ist eine der wichtigsten Branchen Deutschlands. Teslas Ansiedlung war wie ein Versprechen, dass das Land bereit sei für die Zukunft und den Versuch, mit innovativer Technologie den Klimawandel wenigstens zu mildern. Viele Brandenburger waren stolz auf ihre Politiker.
Ihr Ministerpräsident Woidke, SPD, hatte Tesla in einem vertraulichen Brief Steuervergünstigungen und eine schnelle Genehmigung versprochen. Sein Wirtschaftsminister richtete einen wöchentlichen Jour fixe mit den Projektmanagern von Tesla ein. Die gaben ihm montags neue Aufgaben, die er bis Freitag abzuarbeiten hatte. So erzählte er es später selbst.
Die Landesregierung hielt Wort. Während es zehn Jahre dauern kann, in Deutschland eine Straßenkreuzung umzubauen, durfte Tesla in gut zwei Jahren die Fabrik in ein Trinkwasserschutzgebiet setzen. Dafür hebelten das Landesamt für Umwelt und die untere Wasserbehörde des Landkreises große Teile ihrer Wasserschutzverordnung aus. Mit etlichen Sondergenehmigungen.
Der Wassermanager Bähler sagt heute, mit fast jedem Monat habe ihn stärker beunruhigt, wie unkritisch Behördenleiter, sogar Minister ernsthafte Probleme weglächelten. Selbst dann, wenn Tesla geltendes Recht brach.
Schon während der Bauarbeiten rammte der Konzern ohne Genehmigung Stahlbetonpfähle ins Erdreich, bis tief ins Grundwasser. In Schutzgebieten wie diesem ist das verboten, etwa weil die Pfähle Schadstoffe ins Grundwasser bringen können. Die Brandenburger Behörden erteilten Tesla nachträglich eine Ausnahmegenehmigung.
Bähler warf der Landesregierung vor, die Trinkwasserversorgung für die Wirtschaftspolitik zu opfern. Als im März 2022 Teslas Werk eröffnet wurde, war Bähler nicht eingeladen. Er war nicht dabei, als Elon Musk sagte, die Gigafabrik sei ein „Juwel für die Region“, der Produktionsstart ein wichtiger Schritt in eine nachhaltige Zukunft der Erde.
Neben ihm standen Ministerpräsident Woidke und Kanzler Scholz vor schwarz glänzenden Autokarossen und klatschten. Wenig später hielt Woidke ein Mikrofon in der Hand und sagte: „Wir haben es geschafft“, er wirkte ergriffen. Und Scholz sprach über die Arbeiter in Fabriken, „die unseren Wohlstand schaffen“.

2. Blutige Wahrheiten

„Bitte arbeiten Sie bei Tesla Giga Berlin! Es wird super Spaß machen!!“
Elon Musk auf Twitter, 10. September 2020

In seinem Wohnzimmer sinkt Tayfur Karaboga in ein graues Sofa. Es wirkt manchmal, als könne er selbst kaum glauben, welch irrwitzige Wendungen sein Leben im vergangenen Jahr genommen hat.
Im März 2022 saß er, den Blick auf sein Handy geheftet, auf demselben Sofa. Er verfolgte, wie Musk im Licht der Scheinwerfer seine Fabrik in Grünheide eröffnete. Und Karaboga fragte sich, wie er es schaffen könne, dort zu arbeiten. So erzählt er es.
Er hatte 20 Jahre Erfahrung in der Autoindustrie, Mercedes, BMW, VW, große Namen. Sein Job bei VW, als Flurfahrzeugfahrer, war unbefristet und gut bezahlt. Aber VW war die alte Welt, Elon Musk war etwas Neues, Visionäres. Er hatte aus Garagenfirmen Weltkonzerne geformt, inzwischen schoss er sogar Raketen ins All.
Nur Wochen später klappte Karaboga seinen Laptop auf, sah im Internet, dass Tesla für Grünheide noch Mitarbeiter suchte, und schickte eine Bewerbung ab. Am nächsten Morgen weckte ihn der Anruf einer Personalverantwortlichen: wann er anfangen könne? So wurde aus einem Verehrer Elon Musks einer seiner Mitarbeiter, Instandhalter in der Endmontage.
Anfang Oktober 2022 fuhr er im Morgengrauen zum ersten Mal auf Grünheide zu. Aus der Ferne schienen die Fabrikgebäude wie riesige Raumschiffe zu leuchten. In Teslas Werbefilmen, die Karaboga sich
wieder und wieder angesehen hatte, wirkte das Werk wie ein Ort, an dem Menschen fast nur noch zusehen mussten, wie baumgroße Roboter in wenigen Stunden Autos erschufen.
Karaboga sollte Spezialschrauber programmieren und helfen, wenn einer ausfiel. So war es besprochen. Nicht vorbereitet war er darauf, dass sein Arbeitsalltag und die Hightechwelt aus den Videos wenig gemein hatten. Die Liste der Zumutungen und Leiden, von denen er berichtet, wie etliche Angestellte Teslas, ist lang.
Karaboga erzählt von unablässig dröhnenden Alarmsirenen und häufigen Notrufen, weil eine Maschine ausfiel oder ein Krankenwagen einen verletzten Mitarbeiter abholte. Von defekten Klimaanlagen.
Ein Techniker der Batteriefertigung sagt, die Leute in seinem Team hätten so viele Sprachen gesprochen, dass eine Verständigung nahezu unmöglich gewesen sei.
Ein polnischer Helfer, tätig in der Endmontage, behauptet, sein Vorarbeiter habe ihn angewiesen, notfalls mal eine Schraube für die Halterung eines Airbags wegzulassen, wenn die Autos auf dem Band zu schnell an ihm vorbeiliefen.
Sie alle erzählen, vieles sei auf den immensen Arbeitsdruck zurückzuführen, der bei Tesla herrsche. Wahrscheinlich mit dem Ziel, die Stückzahlen zu erhöhen, auf 3000, 4000, 5000 Autos pro Woche. Wahrscheinlich, um Teslas Aktienkurs nach oben zu treiben.

Karaboga sagt, in der Endmontagehalle seien Kollegen erschöpft zusammengebrochen. In der Karosseriefertigung sei es ähnlich gewesen, sagt Jörg Schneider*. Bis Frühjahr 2023 war er dort als Schichtleiter zuständig für 50 Arbeiter. Auch er hatte gut 20 Jahre bei namhaften deutschen Autobauern verbracht, Mercedes, Porsche, Audi. „Die Leute werden verheizt bei Tesla“, sagt er. In seinem Team seien oft Kollegen krankgeschrieben gewesen, zeitweise jeder zweite.
Was Karaboga und frühere Kollegen beschreiben, klingt teilweise nach Arbeitsbedingungen wie zu Beginn der industriellen Revolution. Fertigungshallen, die von den Abgasen der Maschinen neblig gewesen seien. Die Luft zudem geschwängert mit hochgefährlichem Aluminiumstaub, so fein, dass er sich in Nasen, Ohren und Lungen festgesetzt habe. Mitarbeiter erzählen von Husten, braunem Auswurf, Ausschlag, von Kopfschmerzen und Nasenbluten.
In deutschen Autofabriken ist es üblich, Schleifmaschinen und Schweißroboter einzuhausen und mit Abzugshauben auszustatten. „Bei Tesla gab es viel zu wenige Abzugsanlagen“, sagt Schneider. Tesla verdiene unvorstellbar viel Geld. Die Firma spare aber ausgerechnet dort, wo es um die Gesundheit der Mitarbeiter gehe. Keiner der anderen Autobauer, für die er gearbeitet habe, erlaube sich, so rücksichtslos zu wirtschaften. Schneiders Ton verrät, dass ihn das wütend macht.
Dirk Schulze hört solche Berichte oft. Er ist Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Metall in Brandenburg. Am Bahnhof neben dem Werk hat sie ein kleines Büro. Es ist zu einem Seelsorgeort für Mitarbeiter der Gigafabrik geworden. Viele fürchteten, „dass der krebserregende Aluminiumstaub sie ernsthaft krank machen könnte“, sagt Schulze. Arbeitsmediziner wie Hans Drexler von der Universität Erlangen halten das für berechtigt. Wenn Arbeiter einer grenzwertüberschreitenden Staublast mit Aluminium ausgesetzt seien, könne das zu chronischen Atemwegsentzündungen führen. Im schlimmsten Fall zu Krebs oder Veränderungen im zentralen Nervensystem.
Die Recherchen besagen außerdem, dass auf Teslas Werksgelände auffallend viele Arbeitsunfälle passieren. Auch schwere und schwerste. Es gibt dazu keine verlässlichen Statistiken, das gehört zur Wahrheit. Die Autohersteller veröffentlichen in Deutschland keine Unfallzahlen, das entspricht den Datenschutzgesetzen. Es gibt trotzdem Hinweise, dass Teslas Werk in Grünheide für die Arbeiter gefährlicher ist, als es die Fabriken der Konkurrenz sind.
Aus einer Aktennotiz des Landesamts für Arbeitsschutz geht hervor, dass sich auf dem Werksgelände fast täglich Unfälle ereignen. Allein zwischen Juni und November 2022 gab Tesla selbst demnach 190 meldepflichtige Unfälle an. In Deutschland sind alle Unfälle meldepflichtig, nach denen Arbeitnehmer mindestens drei Tage arbeitsunfähig sind. Die Daten der Rettungsstellen sprechen eine ähnliche Sprache. Man kann dort nachlesen, dass Musks Fabrik im ersten Jahr nach der Eröffnung 247 Mal einen Rettungswagen oder Hubschrauber anforderte. Auf die Mitarbeiterzahl umgerechnet, sind das in einem ähnlichen Zeitraum gut dreimal so viele Notfälle wie beispielsweise in Audis Werk in Ingolstadt. Das Reporterteam hat die Liste der Notrufe aus Teslas Fabrik eingesehen, 15 eng bedruckte Seiten. Mal fiel demnach einem Mitarbeiter aus mehreren Meter Höhe eine 50 Kilogramm schwere Holzkiste auf den Kopf; mal fuhr ein Gabelstapler jemandem den Fuß platt. Die Rede ist von Verletzungen durch Stromschläge, Verbrühungen, Salzsäure, amputierten Gliedmaßen.
Der Gewerkschafter Schulze sagt in seinem Büro, in keinem anderen Autokonzern in Deutschland verletzten sich so viele Menschen wie bei Tesla. Auf die Frage, was ihn am meisten sorgt, antwortet er schnell. „Dass irgendwann jemand zu Tode kommt.“
Es ist die Einschätzung einer Arbeitnehmervertretung, sie ist nicht neutral wie eine Statistikbehörde. Doch wenn es in Deutschland eine Organisation gibt, die die Bedingungen in den Autofabriken vergleichen kann, dann ist es die IG Metall. Sie ist praktisch in allen Autokonzernen vertreten, mit Mitgliedern im Betriebsrat.

[Das Medium] hat zwei Reporterinnen für einige Zeit in die Gigafabrik in Grünheide eingeschleust. Sie haben in der Antriebsfertigung und der Lackiererei gearbeitet und viele Probleme selbst erlebt, von denen Mitarbeiter wie Karaboga, Schneider und andere erzählen. Kollegen klärten sie nicht über akute Gefahren ihres Arbeitsplatzes und ihrer Abteilung auf. Fast täglich standen Maschinen still, manchmal stundenlang. Trotzdem riefen Vorarbeiter höhere und unrealistische Produktionsziele aus. Einmal produzierte eine Maschine reihenweise defekte Motorenteile. Trotzdem sortierte der Qualitätsprüfer diese nur teilweise aus. Der Druck sei sehr hoch, die vorgegebenen Stückzahlen zu erreichen, sagte er.
Eines der großen Probleme, das auch die vielen Arbeitsunfälle erkläre, sei die mangelnde Ausbildung der Mitarbeiter. So jedenfalls erzählen es nicht nur Karaboga und Schneider. Andere Autokonzerne in Deutschland verlangen in der Regel einen Meisterbrief von ihren Schichtleitern, Tesla angeblich nicht.
Eine der beiden getarnten Reporterinnen wurde in ihrer zweiten Arbeitswoche von einer einfachen Arbeiterin zur Qualitätskontrolleurin für Motorenteile gemacht.
Sie sollte defekte Teile reparieren. Ihr Chef behauptete, sie könne schon in wenigen Monaten als Prozesstechnikerin die Abläufe in der gesamten Halle managen. Er saß mit ihr an einem Laptop, um ihr eine goldene Zukunft zu skizzieren, die für sie im Konzern möglich sei, mit Lohngruppen und Karrierechancen.
Als sie sagte, sie habe doch keinerlei Ausbildung oder Erfahrung, antwortete er: „Ich mach das, weil ich’s will. Punkt, Ende.“

Man hätte im Berliner Regierungsviertel und der Staatskanzlei in Potsdam zumindest ahnen können, dass Tesla nicht nur eine schöne Erfolgsgeschichte verhieß. In den USA stehen Musk und sein Konzern seit Jahren in der Kritik. Mal geht es um Arbeitsunfälle und darum, wie Tesla sie zu vertuschen versucht. Mal um schwerwiegende Umweltverstöße und Strafzahlungen.
Eine Untersuchung vor vier Jahren ergab, dass Teslas Werk im kalifornischen Fremont dreimal häufiger gegen Gesundheits- und Sicherheitsauflagen verstieß als die zehn anderen größten Autofabriken des Landes zusammen. Zudem verschleierte Tesla nachweislich die wahre Zahl seiner Arbeitsunfälle. Die Firma ließ verletzte Arbeiter zum Beispiel mit dem Taxidienst ins Krankenhaus fahren. Auf diese Weise listete die Statistik der Rettungswageneinsätze weniger Notrufe aus Teslas Werken.
Offenbar hofften die Deutschen und einige ihrer Politiker, Tesla würde sich in Grünheide neu erfinden. Als wäre die Rücksichtslosigkeit, mit der Musk und seine Unternehmen wirtschaften, nicht einer der Gründe für den atemberaubenden Erfolg. Zuletzt verdiente Tesla an jedem verkauften Auto so viel wie kein anderer Hersteller weltweit.
Auf einer Kommode in Tayfur Karabogas Wohnzimmer steht das Foto einer jungen Frau in einem Krankenbett. Es ist seine Schwester, sie starb Anfang des Jahres an Krebs. Karaboga hat ihr versprochen, sich um ihren Sohn zu kümmern, seinen Neffen, zehn Jahre alt. Er sagt, schon deshalb durfte er auf keinen Fall seinen Job verlieren. Also habe er sich von seinen Chefs zu riskanten Arbeiten drängen lassen. Im Januar 2023 sei das schiefgegangen.
Wie Karaboga es schildert, sollten Arbeiter in seiner Endmontagehalle eine Werkstatt umbauen. Dabei sei eine Steckdose im Weg gewesen. Karabogas Schichtleiter habe ihn angewiesen, sie zu versetzen. Er habe gesagt, dass er das gar nicht dürfe. Er müsse dafür den Strom abstellen, dafür habe er keine Schaltberechtigung. Der Schichtleiter habe gesagt, dann solle er den Strom eben angeschaltet lassen. Wenig später seien 230 Volt durch seinen Körper gefahren. Weil Tesla auch dazu schweigt, wie zu allem anderen, gibt es nur Karabogas Version des Vorfalls.
Die Reporter haben ihre Rechercheergebnisse mit dem Berliner Arbeitsrechtler Sven Jürgens besprochen. Er sagt, Tesla verletzte offenbar „reihenweise gesetzliche Vorgaben – sehenden Auges“. Musks Konzern komme seiner Fürsorgepflicht nicht nach und gehe rücksichtlos über Arbeitnehmerschutzrechte hinweg. Eine der großen Frage sei: Wieso lassen die Behörden das zu?

3. Das große Schweigen

„Nach hiesigen Erkenntnissen erfüllt
Tesla die Anforderungen des allgemeinen Arbeitsschutzrechts wie auch die
Anforderungen des Gefahrstoffrechts.“
Mail des Gesundheitsministeriums
Brandenburg, 11. September 2023

In diesem Frühjahr ereignete sich in der Gießerei der Gigafactory mal wieder ein Unfall. In der Herstellung gegossener Karosserieteile kletterte Mirko Roth* auf einen der Schmelzöfen, um eine klemmende Klappe mit dem Fuß zuzudrücken. In diesem Ofen kochte geschmolzenes Aluminium, mehr als 660 Grad heiß. An der Oberseite war ein Teil entfernt worden. Roth, der davon offenbar nichts wusste, brach mit dem linken Bein ein und zog sich an Unterschenkel und Fuß Verbrennungen zu.
Der Fall, in Behördenunterlagen protokolliert, zeigt, wie Tesla mit solchen Problemen umgeht. Und wie Behörden und Ministerien in Brandenburg behilflich sind.
Zwei Wochen nach dem Unfall saß Roth im Rollstuhl vor einem Berliner Krankenhaus und rauchte. Das linke Bein, dick verbunden, lag auf einer Schiene. Roth sagte, er wolle seinen Job bei Tesla nicht verlieren, er dürfe leider nicht mit Journalisten sprechen. Eine Verschwiegenheitsklausel in seinem Arbeitsvertrag verbiete das.
Wenig später gab das Unternehmen ihm die Schuld an dem Unfall. Die Prüfer des Landesamts für Arbeitsschutz folgten ihm. Roth habe eine interne Betriebsanweisung gekannt, laut der „das Betreten des Ofens unter allen Umständen“ verboten sei.
Die Behördenprüfer hätten in der Gießerei vielleicht erfahren können, dass in Teslas Produktion Vorschriften eine Sache sind. Und die Frage, wer sie einhält oder bricht, mitunter eine ganz andere. Jedenfalls sagen mehrere Zeugen, Vorarbeiter hätten immer wieder Gießer aufgefordert, auf die Öfen zu steigen. Etwa, um dort sauber zu machen.
Die Amtskontrolleure störte offenbar auch nicht, dass Roth allein an jenem Ofen hantierte, obwohl er kein ausgebildeter Gießereimechaniker war. Tesla hatte ihn nur angelernt. Der Gießereiexperte Gotthard Wolf von der Bergakademie Freiberg sagt, dass eigentlich „nur Gießereimechaniker diese Öfen bedienen“ sollten. Und wenn, etwa aufgrund des Fachkräftemangels, nur ein Angelernter wie Roth am Ofen stehe, dann auf keinen Fall allein.
Das führt zu der grundsätzlichen Frage, wie ernst die Brandenburger Behörden ihre Kontrollfunktion nehmen. Aus ihren Akten geht hervor, dass mindestens ein Mitarbeiter des Landesamts für Arbeitsschutz seit Januar 2022 mehrmals im Monat zu Tesla fährt, um die Arbeitssicherheit zu prüfen. Er meldet sich demnach meist vorher an und kündigt an, was genau er sich ansehen will.
Ein Sprecher des Amts sagt, das sei so üblich, auch bei der Kontrolle anderer Betriebe. Mitarbeiter erzählen, dass Tesla solche Kontrollen gut vorbereite. Ein Maschineninstandhalter sagt, er habe mehrmals erlebt, dass rechtzeitig die Produktion gedrosselt werde. Je weniger Maschinen laufen, desto besser fallen bei der Messung die Luftwerte aus. Ein früherer Bandarbeiter sagt, in der Karosseriehalle habe im Jahr 2022 die passende Schutzkleidung gefehlt. Vor einem Kontrollbesuch habe ein Vorgesetzter seine Station mit robusten Handschuhen ausgestattet. Als der Mann vom Amt weg war, habe er die Schutzkleidung wieder eingesammelt.
Der Prüfer protokollierte den Akten zufolge dennoch nach fast jeder Besichtigung Mängel. Und wenn Tesla ein Problem behob, fand er beim nächsten Mal ein anderes vor. In einer von mehreren internen Mails dazu schreibt ein Kollege, es sei frustrierend, dass „permanent immer wiederkehrende Fehler auftreten“.
Ein Sprecher des Brandenburger Gesundheitsministeriums spielt den häufigen Ärger mit dem Konzern dagegen herunter. Es habe weder in der Bauphase noch seit Produktionsstart „bislang Anhaltspunkte für nicht ausreichende Abluftanlagen“ gegeben, sagt er zum Beispiel. Allerdings finden sich in den Akten seiner eigenen Behörde zahlreiche Vermerke zu Luftproblemen.
Es gibt noch mehr Indizien, dass das brandenburgische Gesundheitsministerium zu kaschieren versucht, welche Zustände in der Fabrik herrschen.

Schon im Januar fragte das Reporterteam, wie viele meldepflichtige Arbeitsunfälle es in Teslas Fabrik gab. Man führe keine Statistik, sagte der Sprecher. Dazu steht in den Akten seines eigenen Ministeriums, dass Tesla der Behörde bis Mai 2023 jeden meldepflichtigen Arbeitsunfall mitteilte, per Mail. Seither kann die Behörde die Informationen über die Unfälle jederzeit und direkt in einer digitalen Datenbank abrufen. Das Ministerium hatte also die Informationen, nur machte es daraus keine Statistik. Und was man nicht hat, das muss man nicht teilen.
Es ist das eine, dass die Regierung eines Bundeslandes stolz ist auf die Ansiedlung eines Weltkonzerns, den Regierungen und Regionen in ganz Europa umworben haben. Und gute Beziehungen zu diesem Konzern zu unterhalten, weil es allen Seiten nutzt. Etwas ganz anderes ist es, wenn Politiker und Behörden dabei zusehen, wie ein Unternehmen systematisch Menschen und die Umwelt in Gefahr bringt und gegen Auflagen und Gesetze verstößt. Oder sogar mithelfen, dass diese Missstände möglichst nicht auffallen.
Man weiß aus Amerika, dass Tesla versucht, seine Werke strikt zu kontrollieren und von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Das ist in Grünheide ähnlich. Mitarbeiter, die über interne Vorgänge reden, müssen ihre Entlassung und Schadensersatzklagen fürchten. So steht es in Verträgen, die das Reporterteam eingesehen hat. Selbst Besucher sollen eine Verschwiegenheitsklausel unterschreiben, nach der sie jedes veröffentlichte Foto aus dem Werk 25 000 Euro Strafe kosten kann. Das erklärt auch, warum viele Gesprächspartner nicht namentlich zitiert werden wollen. Sie haben Angst, dass der Milliardenkonzern sie in die Privatinsolvenz klagt.
Damla Yildirim* arbeitete in der Karosserieabteilung in Grünheide. Kurz vor Ende der Probezeit wurde ihr gekündigt, nachdem sie Verbesserungsvorschläge eingereicht hatte. Sie sagt, ihr früherer Chef habe sie noch angerufen und untersagt, über ihre Zeit im Werk zu reden. „Bei Tesla hält man die Fresse“, habe er gesagt.
Auch den Anlagenprogrammierer Gunnar Hemmann hat Tesla entlassen. Er war im Betriebsrat eines der wenigen IG-Metall-Mitglieder. Erst sei er an der Betriebsratsarbeit gehindert worden, dann gekündigt, sagt er. Nun klagt er wie so viele andere frühere Kollegen.
Oder Tayfur Karaboga. Nach seinem Stromschlag habe sein Chef gesagt, er solle keinesfalls zum Arzt gehen. Sonst bekomme Tesla womöglich Ärger mit den Behörden. Karaboga gehorchte, trotzdem verlor er wenige Wochen nach dem Unfall seinen Job. Er habe wohl „zu oft auf die Arbeitsschutzmängel hingewiesen“, sagt er. Auch er klagt gegen seine Kündigung.

4. Das Trinkwasser und das Gift

„This region has so much water.
Look around you.“
Elon Musk bei einem Baustellenbesuch,
13. August 2021

An einem heißen Sommernachmittag kniet der Wassermanager Bähler in einem Kiefernwald vor einem kreisrunden Loch im Boden. Es führt in einen kleinen Raum mit Rohren und Ventilen. An diesem Ort wird Wasser unterirdisch in ein Wasserwerk gepumpt. Teslas Fabrik liegt gut anderthalb Kilometer Luftlinie entfernt.
Bähler ist studierter Umweltingenieur, Wasserwirtschaftler wie schon sein Vater und sein Großvater. Er sieht es als Pflicht an, dem Osten Brandenburgs möglichst reines Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Dass diese Aufgabe auch politisch sein kann, erscheint ihm eher als unvermeidbares Übel.
Einen Teil des Grundwassers in seinem Verbandsgebiet kann er bis heute nicht nutzen, weil im Zweiten Weltkrieg und zu Zeiten der DDR in einem Industriegebiet Gifte versickerten. Bähler fürchtet, dass so etwas bald wieder passieren könnte. Wegen Tesla. Ein einziger ausgelaufener Kanister Öl auf dem Werksgelände, so glaubt er, könnte reichen. Dann müsste er womöglich alle Brunnen abstellen. „Unter Umständen auch dauerhaft.“
Bähler sagt, man dürfe sich Grundwasser nicht wie einen unterirdischen Fluss vorstellen. Es bewege sich nur langsam durch Gestein und Sand. Das bedeutet, wenn bei Tesla ein Giftstoff ins Erdreich gelangt, könnte es Monate, eventuell Jahre dauern, bis er an den Brunnen ankommt, vor denen Bähler kniet.
Es sei daher wichtig, sagt Bähler, dass er und seine Leute im Fall einer Havarie sofort davon erfahren. Sie müssten umgehend reagieren, etwa mit Sperrwänden und Absaugvorrichtungen.

Bählers Problem ist, dass sich die Gefahr in den Brunnen noch nicht nachweisen lässt und Politiker ihn deshalb als Schwarzmaler hinstellen. Außerdem haben sie ihm und seinem Wasserverband die Kontrolle über das Grundwasser entrissen. Bähler hat deshalb nur eine vage Idee davon, wie berechtigt seine Sorgen sein könnten.
Nach den Recherchen [des Mediums] gab es seit dem Bau der Fabrik regelmäßig Zwischenfälle, die das Potenzial haben, das Grundwasser für lange Zeit zu vergiften. Ehemalige Werksfeuerwehrleute und Entsorgungsarbeiter behaupten, dass beinahe täglich irgendwo auf dem Werksgelände Öl oder Diesel ausgelaufen sei. Geringe Mengen genügten schon, um Bählers Brunnen zu verseuchen. Das sagt Bähler, das sagen auch Wissenschaftler wie Martin Pusch vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin.
Seit das Werk produziert, gab es eine
Vielzahl gefährlicher Umweltunfälle. Am 20. September 2022 warfen Entsorgungsmitarbeiter auf dem Werksgelände eine Holzkiste in eine Schreddermaschine. Darin lag eine Batterie, die sofort Feuer fing. Am Ende versickerten 200 bis 300 Liter Löschwasser im Boden. So steht es in Akten der Wasserbehörde.
Im Februar 2023 liefen in drei Toilettencontainern die Klos über, sagt einer, der angibt, es gesehen zu haben. Ein Gemisch aus Exkrementen, Urin und Wasser sei aus den Containern geplätschert. Wenn seine Schätzung stimmt, dann sind bis zu 3000 Liter Fäkalienwasser im Boden versickert.
Im Juli entdeckten Prüfer der Wasserbehörde auf dem Werksgelände eine illegale Tankstelle für Diesel, versteckt in einem weißen Partyzelt. Sie ordneten an, die Zapfsäulen sofort abzubauen. Nach Informationen der Reporter sollen Wochen zuvor rund 250 Liter Diesel ausgelaufen sein.
Auf einer Liste der Vorfälle, die Tesla den Brandenburger Umweltbehörden seit der Werkseröffnung gemeldet hat, stehen 23 Havarien, darunter sieben Brände, ausgelaufene Chemikalien wie Epoxidharz, Hydrauliköl, Farbe, Lack oder Dieselkraftstoff. In gerade einmal vier dieser Fälle ordneten die Behörden Bodenproben an.
Der Wassermanager Bähler, der die Sicherheit des Trinkwassers garantieren soll, hat von alldem praktisch nichts erfahren. Als die Reporter ihm von den Havarien auf der Liste erzählen, sagt er, er sei „nur über einen“ der Fälle informiert worden.
Es sieht so aus, dass die Minister in Potsdam und ihre Behörden es mit Teslas Umweltverschmutzung ähnlich halten wie mit den Arbeitsunfällen. Sie reden sie klein, sie tricksen, sie liefern sich Tesla aus.
Im November 2022 übertrug das Landesamt für Umwelt die Kontrolle über das Grundwasser unter dem Fabrikgelände an Tesla. Ohne Bähler zu informieren. Als das Land den Bau genehmigte, hatte es im Bescheid noch Teslas Pflicht festgeschrieben, Bählers Wasserverband „in alle grundwasserrelevanten Fragestellungen einzubeziehen“. Das strich das Landesamt für Umwelt, weil Tesla Widerspruch eingelegt hatte.
Ein Konzern, der für sein Werk in Fremont, Kalifornien, mehrere Strafen für Umweltvergehen zahlen musste, soll sich seither in Grünheide selbst kontrollieren.
Manches in Brandenburg mag damit zu erklären sein, dass wohl keine deutsche Kommune und keine Kreisverwaltung Personal und Mittel hat, einen global agierenden Konzern wirksam zu kontrollieren. Das erklärt aber nicht, warum ein Ministerpräsident und seine Landesregierung Missstände zu ignorieren scheinen und Kritiker behandeln wie weltferne Spinner.
Einige Sachbearbeiter der Umweltbehörden erzählen in vertraulichen Gesprächen, dass Teslas Werk ihnen inzwischen große Sorgen bereite. Sie sagten bloß nichts, aus Angst, ins Kellerarchiv strafversetzt zu werden. Denn der Ministerpräsident und seine Landesregierung sähen die Autofabrik als ihr politisches Vermächtnis an. Anfangs hätten sie vielleicht nur ihre Macht überschätzt, Tesla unter Kontrolle zu halten. Inzwischen aber hätten sie sich Musk und seinem Unternehmen komplett ausgeliefert.
Der Wassermanager Bähler ist einer der wenigen, die Tesla noch öffentlich kritisieren. Er sei wohl der Einzige, der ihr Wasser noch schützen könne, sagen Anwohner und Umweltschützer. Und wie es der Zufall will, arbeitet eine Handvoll Bürgermeister da-ran, Bähler abzusetzen. Während diese Ausgabe [des Mediums] gedruckt wird, soll die womöglich entscheidende Sitzung stattfinden.

5. Ausfluchten

„Es sind die Leute in diesen Fabriken,
die unseren Wohlstand schaffen.“
Olaf Scholz bei der Werkseröffnung, März 2022

Anfangs, als Teslas Werk in Grünheide nur eine schöne Erfolgsgeschichte zu sein schien, sprachen die Politiker in Berlin und Potsdam viel und gern darüber. Sie sind schmallippig geworden.
Vor ein paar Monaten beantragte Tesla, sein Werk zu vergrößern, der Konzern will eine zweite Produktionshalle. Er will 81 200 weitere Pfähle in den Boden treiben, größtenteils im Trinkwasserschutzgebiet, bis zu zwölf Meter tief. Das Landesamt für Umwelt sieht „unüberwindliche Hindernisse“ für eine Genehmigung. Die Politiker in Berlin und Potsdam weichen den Problemen aus.
Das Bundeskanzleramt antwortet auf Fragen mit einer kurzen Mail, dass Teslas Ansiedlung in Brandenburg ein bedeutendes Signal für den Automobilstandort Deutschland gewesen sei. Die Bitte um ein Interview lässt eine Sprecherin unbeantwortet. Wenige Tage später, am Rande eines seiner Termine in Berlin, ignoriert Olaf Scholz zwei Reporter [des Mediums] und ihre Fragen, als seien sie eine Fata Morgana.
Ministerpräsident Woidke sagt auf einem Fest in Finsterwalde zu den Arbeitsbedingungen bei Tesla, es sei ihm zwar „nicht unbekannt“, wie viele Unfälle in der Fabrik passierten. Er sei aber nicht Teslas Pressesprecher. Er klingt pampig.
Sein Umweltminister, Axel Vogel von den Grünen, gibt am Rande eines Festes noch zu, dass auf Teslas Werksgelände Probleme aufgetaucht seien. Wenige Augenblicke später bricht er das Gespräch ab und geht.
Die Staatskanzlei des Ministerpräsidenten wirbt bis heute auf ihrer Internetseite mit einer Tesla „Task Force“. Alle wichtigen Ministerien säßen mit Teslas Managern am Tisch, etwa einmal im Monat. Nur was Woidke und seine Minister dann mit den Managern besprechen, erfährt kein Außenstehender. Die Staatskanzlei weigert sich auch, Protokolle der Treffen herauszugeben. Obwohl sie nach dem Informationsfreiheitsgesetz dazu verpflichtet ist.
Die Informationsplattform „Frag den Staat“ hat deshalb beim Verwaltungsgericht Potsdam eine Klage eingereicht. Es wird dauern, bis die Sache entschieden ist.
In der Zwischenzeit versucht Tayfur Karaboga, vor Gericht seinen Job zurückzubekommen. Wenn er Erfolg hat, will er sich in den Betriebsrat wählen lassen. Er sagt, nur Leute wie er, Fan und Kritiker zugleich, könnten Tesla zu einem besseren Unternehmen machen.
Der Wassermanager Bähler hofft. Dass noch kein Gift aus Grünheide unterwegs ist zu seinen Brunnen.

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