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Der Artikel stellt fünf Ansätze vor, deutsche Schülerinnen ohne zusätzliche Bildungsausgaben besser auf ihr Berufsleben vorzubereiten: in Dresden fokussiert sich die Unterrichtsstruktur auf die individuellen Entwicklungswege der Schüler, in Potsdam forschen Bio-Schülerinnen an der Universität, in Köln unterstützt ein humanoider Roboter geflüchtete Schüler beim Sprachunterricht, in Oldenburg wird eine Schülerfirma gegründet, um ökonomische Zusammenhänge zu vermitteln, in Rathenow verbringen Schülerinnen zwei Wochentage im Betriebspraktikum.

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Das muss Schule machen

Niklas lässt die Funken fliegen. 30.000 Grad heißes Gas zischt durch den schwarzen Schlauch seines Plasmaschneiders, mit dem glühenden Strahl gleitet er über eine runde Metallplatte, schneidet einen kleinen Kreis heraus, prüfender Blick, perfekt. Aus dem Stück lässt sich das "O" formen, das ihm noch für sein Schild fehlt: Duncker-Oberschule Niklas, 14, geht dort in die neunte Klasse - aber nur drei Tage die Woche, von montags bis mittwochs. Jeden Donnerstag und Freitag arbeitet er in der Werkstatt von MAP, der Maschinen- und Apparatebau Produktion in Rathenow, rund 80 Kilometer westlich von Berlin. Das Unternehmen und die Schule kooperieren in einem bemerkenswerten Projekt: Statt nur für 14 Tage ein Praktikum zu machen, packen die Schülerinnen und Schüler jede Woche in einem Betrieb mit an.

Ein bis zwei Schultage sind die Jungen und Mädchen ab der achten Klasse in der Firma. Jedes neue Halbjahr können sie in einen neuen Beruf oder in einen neuen Betrieb wechseln, dort den Alltag erleben, an Projekten arbeiten, Teil eines Teams werden. Das Ziel: die bestmögliche Vorbereitung aufs Berufsleben - denn das gelingt in Deutschland immer seltener, wie die Liste peinlicher Rekorde zeigt.

Noch nie haben so viele junge Menschen ihre Berufsausbildung abgebrochen. 29,5 Prozent der Azubis beendeten 2022 vorzeitig ihren Vertrag, zeigt eine Studie des Bundesinstituts für Berufsbildung. Noch nie waren so viele junge Menschen ohne Ausbildung: Rund 2,64 Millionen der 20- bis 35-Jährigen haben überhaupt keinen Berufsabschluss, rund 48.000 Schüler schaffen nicht einmal die Hauptschule. Eine desaströse Entwicklung für die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt - und die fängt schon in der Grundschule an.

22 Prozent der Viertklässlerinnen und Viertklässler beherrschen nicht einmal die Mindestanforderungen in Mathematik - und schon am kommenden Dienstag droht der nächste Schock: Dann werden die neuen Pisa-Ergebnisse veröffentlicht. Deutschland dürfte in der weltweit größten Schulleistungsstudie erneut abrutschen. Das ist fatal - nicht nur für die individuellen Chancen der jungen Menschen, sondern für den gesamten deutschen Standort.

Appell der Arbeitgeber

Denn wie maßgeblich die Zukunft des Standorts vom Bildungssystem abhängt, kann Ökonom Ludger Wößmann vorrechnen: Würde Deutschland seine Bildungsleistung um 25 Pisa-Punkte steigern, könnten langfristig - über das geschätzt 80-jährige Leben eines heute geborenen Kindes hinweg - rund 14 Billionen Euro an zusätzlichem Bruttoinlandprodukt (BIP) erzielt werden, zeigt seine Studie im Auftrag der Europäischen Kommission von 2020. "Bei Leistungsverlusten ergeben sich entsprechende BIP-Verluste", warnt Wößmann. Leisten kann sich Deutschland das längst nicht mehr. Der Arbeits- und Fachkräftebedarf steigt, die Wettbewerbsfähigkeit sinkt - und trotzdem liegt Deutschlands kritischste Infrastruktur zunehmend brach: Das Bildungssystem wird zur größten Baustelle der Bundesrepublik.

Die Entwicklung ist inzwischen so dramatisch, dass auch Deutschlands Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger eindringlich mahnt: "Wir brauchen eine umfassende Qualitätsverbesserung auf allen Ebenen unseres Bildungssystems."

Doch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dürfte sich auch auf Reformansätze auswirken. Erst kürzlich forderte SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken noch ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bildung. Jetzt ist fraglich, ob überhaupt die geplanten zehn Milliarden Euro fließen werden für das Startchancen-Programm zur Förderung sozial benachteiligter Kinder. Und was ist mit den neuen Milliarden für den Digitalpakt 2.0? Alles offen, heißt es aus dem Bundesbildungsministerium.

Doch um Deutschlands mangelhaftes Zeugnis zu verbessern, braucht es nicht zwangsläufig mehr Geld. Eine Reise durch die Republik zeigt fünf Ideen, die Schule machen sollten.

1. Revolution im Plattenbau

An der Universitätsschule Dresden könnte der Kontrast zwischen Muff und Revolution nicht größer sein. Draußen Waschbeton, drinnen Lernateliers in leuchtenden Farben. In einem DDR-Bau von 1982, der inzwischen um Container erweitert wurde, probt die Universitätsschule den Umbruch des Schulsystems - und das fängt schon bei den Ferien an.

Die Schülerinnen und Schüler nehmen Urlaubstage, sie lernen in Projektteams statt Klassen und werden unterstützt von Lernbegleitern statt Lehrern. Das Gebäude am Rande einer Plattenbausiedlung im Bezirk Plauen ist Forschungs-, Aus- und Weiterbildungsstätte zugleich für die TU Dresden.

Etwa 730 Kinder lernen an der Gemeinschaftsschule individuell und nach ihren Interessen. Ein antiautoritäres Halligalli auf Staatskosten? Nein, sagt Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft an der TU Dresden und Initiatorin des Schulversuchs. Für Schüler sei es sogar anstrengender, "weil die ihren Kopf einschalten müssen". Dass es im regulären Schulsystem nicht um den einzelnen Schüler geht, hält sie für das größte Problem: "Schule muss es schaffen, individuelle Entwicklungswege von Schülern zu begleiten." In Dresden soll das gelingen.

Doch wie gelernt wird, ist nur eine Seite des Schulsystems - mit wem, die andere. Bis zu 40.000 Lehrkräfte fehlen in Deutschland, rechnet der Deutsche Lehrerverband aus. Tausende Lehrer demonstrieren derzeit für bessere Arbeitsbedingungen, in Ostdeutschland sind viele Lehrer nicht verbeamtet, bundesweit ist die Teilzeitquote mit 40,6 Prozent hoch. Macht die Aussicht auf mehr Freiheit den Beruf attraktiver?

Schulleiterin Maxi Heß sitzt im Rektorenzimmer, hellgrüne Wand, oranger Teppich und ein Blumenstrauß aus Legosteinen auf dem Tisch. Doch spätestens beim Amt stößt die Kreativität an ihre Grenzen. Die Lehrer werden ihr wie an allen staatlichen Schulen zugeteilt. Manche Bewerberinnen und Bewerber wünschen sich aber explizit einen Platz an der Universitätsschule oder wechseln von anderen Schulen rüber. Sie erwartet ein "Eldorado der Möglichkeiten", sagt Heß.

Frontalunterricht ist heute freilich an vielen Schulen passé. Doch an der Universitätsschule vermitteln Lehrer in erster Linie Methoden, damit sich die Schüler selbst den Stoff aneignen können. So wie Nino Haustein. "Hallo Nino", schallt es ihm entgegen, wenn er den Raum mit Birkenstocks und braunem Cordhemd betritt. Dass "Sie" ist hier die Ausnahme, Fächer wurden ganz abgeschafft, es wird übergreifend in den sogenannten Perspektiven gelernt: Sprache und Kultur, Gesellschaftswissenschaften und Mint.

Diese Struktur helfe sogar gegen den Lehrermangel, ist Haustein überzeugt. "In den vergangenen zwei Schuljahren gab es keinen fachlich ausgebildeten Mathematiklehrer", erzählt er. Die Kollegen in der Perspektive Mint, also Mathe, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, hätten die Lücke abgedeckt. Leidet darunter nicht die Qualität? Von wegen. Bei den sächsischen Kompetenztests, mit denen Lernergebnisse und Leistungsstände geprüft werden, lagen die Schüler der Universitätsschule Dresden über dem Landesschnitt. Realitätscheck für die Revolution: bestanden.

2. Praxis im Paradies

Die 14 Frauen und Männer im Botanischen Institut der Universität Potsdam sind eigentlich noch zu jung für die Hochschule - und trotzdem präsentieren sie schon wie die Profis. Auf Englisch stellen sie die Ergebnisse ihres Forschungsprojekts vor, an dem sie in den vergangenen sechs Monaten gearbeitet haben. Die jungen Wissenschaftler sind Schülerinnen und Schüler des Potsdamer Leibniz-Gymnasiums, an zwei Tagen in der Woche werden sie in der Universität unterrichtet.

"Nature of Science" (NoS) heißt das Programm für die Oberstufe, die hier Naturwissenschaften direkt im Grünen erleben soll. Der Paradiesgarten mit seinen mehr als 1000 Pflanzenarten, den König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen 1841 von seinem Gartendirektor Peter Joseph Lenné anlegen ließ, gehört zum Gelände, wo nun gegen den Fachkräftemangel angelernt wird.

Denn abgesehen von den sozialen Berufen, ist der Bedarf in keinem anderen Bereich größer: 140.000 Mint-Expertinnen und -Experten fehlen aktuell in Deutschland, zeigen Berechnungen des Instituts für Wirtschaft (IW) - alles andere als ein paradiesischer Zustand für den Standort Deutschland.

Dabei erwartet Mint-Absolventen ein hohes Gehalt: Junge Vollzeitbeschäftigte unter 45 Jahren verdienen laut IW im Schnitt 5313 Euro, fast 200 Euro mehr als der Medianlohn in allen akademischen Berufen. Trotzdem entscheiden sich immer weniger für ein solches Studium. Das will Johannes Goedings ändern.

Der Biologielehrer gehört zu den Initiatoren von Nature of Science, an dem Botanik-Institut werden die Schüler auch in Chemie, Physik, Mathe, Englisch und Kunst unterrichtet. Anders als etwa beim klassischen Bio-Unterricht dürfen die Schüler hier selbst experimentieren, Daten auswerten und analysieren. Dinge, die eigentlich erst im Studium anstehen würden. "Das Ziel ist zwar mit dem Abitur das gleiche, aber wir gehen einen anderen Weg dahin", erklärt Goedings. Während es für die Idee 2018 reichlich Schulterklopfer und Komplimente gab, sprangen am Ende weder zusätzliches Geld noch Lehrerstunden raus. "Die Politik will gegen den Fachkräftemangel im Mint-Bereich vorgehen, wirklich helfen tun sie uns aber nicht", sagt Goedings. Also haben die Lehrkräfte alles in ihrer Freizeit organisiert.

Bei den Schülern kommt das Projekt gut an, der Bio-Leistungskurs wirkt wie aus dem Bilderbuch: Der Anteil von Mädchen und Jungen ist fast gleich. Dabei sind Mint-Studiengänge in Deutschland sonst vor allem bei Männern beliebt. Nur etwa 30 Prozent der Studierenden sind im Wintersemester 2022/23 Frauen, in der Informatik liegt der Frauenanteil nur bei rund 20 Prozent. Die Potsdamer zeigen, dass es besser geht: mit Praxis im Paradies.

3. Schneller ankommen mit KI

Bob misst 60 Zentimeter, hat kein Lehramt studiert - und könnte doch rund um die Uhr unterrichten. Bob ist ein humanoider Roboter, der am Erich-Gutenberg-Berufskolleg (EGB) menschliche Kollegen unterstützt. Schüler, die ihr Deutsch verbessern oder Vokabeln für einen Test lernen wollen, üben mit Bob. Ist die Antwort richtig, lobt der Roboter den Schüler, ist sie falsch, sagt er: "Überleg doch noch mal." Ungeduldig? Wird er nie.

"Die Roboter entlasten Lehrer, die sich um viele Schüler gleichzeitig kümmern", sagt EGB-Digitalchef Detlef Steppuhn. Fast 2200 Schülerinnen und Schüler besuchen das Berufskolleg in Köln-Mülheim, sie kommen aus 70 Ländern, werden von 117 Lehrerinnen und Lehrer unterrichtet - und neuerdings auch von acht Robotern. Nicht nur deshalb gilt das Kolleg als eine der digitalsten Schulen Deutschlands.

Steppuhn hat am Erich-Gutenberg-Kolleg, benannt nach dem Begründer der modernen deutschen Betriebswirtschaftslehre, bereits 1995 das Internet eingeführt, heute lernen geflüchtete Schüler mit der künstlichen Intelligenz (KI) ChatGPT Deutsch, im Sportunterricht gibt's virtuelle Tauchkurse. "Alle Digitalität ist schön, aber am Ende nur Mittel zum Zweck", sagt Schulleiter Brunke Barelmann. Von der Alphabetisierung in den Internationalen Förderklassen bis zum Fachvokabular für angehende IT-Systemkauffrauen werden hier viele Niveaus zusammen- und vor allem vorangebracht. Damit Integration gelingt - analog wie digital.

Genau daran scheitern Deutschlands Schulen noch immer viel zu oft. Von den fünf Milliarden Euro aus dem Digitalpakt Schule ist seit 2019 bisher mit rund 1,3 Milliarden Euro nur ein Bruchteil abgeflossen. Derweil gibt es durch die wachsende Zahl an Flüchtlingen immer mehr Neuankömmlinge, doch die Integration gelingt immer schlechter, wie der Bildungsmonitor der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft zeigt: In keinem Bereich waren die Rückschritte im Vergleich zu 2013 größer. 40 Prozent der Viertklässler haben heute einen Migrationshintergrund, eine Gruppe, die zugleich besonders häufig von Bildungsarmut betroffen ist. Die Schulen müssen sie fit machen für den Arbeitsmarkt. Wie gut das am EGB gelingt, zeigt beispielsweise ein Schüler aus der Ukraine: Er ist gestartet in einer Förderklasse, jetzt lernt er auf dem Wirtschaftsgymnasium fürs Abitur.

4. Diese Klasse macht Kasse

Mit aller Kraft dreht Anna an dem metallenen Griff, während zwei Mitschüler die Obstpresse mit beiden Händen auf dem Tisch fixieren. Gut zwei Kilo Äpfel haben die Schüler in den Presssack gegeben, nun soll daraus unter vollem Körpereinsatz Saft entstehen. Aus dem Hahn tropft er direkt in einen Plastikeimer. "Das ist alles!?", fragt eine Neuntklässlerin leicht entgeistert, als sie das Ergebnis herausfließen sieht: etwa 750 Milliliter haben sie gewonnen, immerhin drei Becher Apfelsaft.

Was auf dem Schulhof des Herbart-Gymnasiums in Oldenburg gerade geschieht, ist keine Ernährungslehre, sondern: Wirtschaftsunterricht. Lehrer Janosch Schierke, in lässigem sandgelbem Pullover und weißen Sneakern gekleidet, ist kein Freund von starrem Frontalunterricht. Schulbuch auf, Kapitel runterbeten? Nicht bei ihm. "Die Schüler lernen hier hautnah, wie Wirtschaft wirklich funktioniert", sagt der Lehrer. Vor wenigen Monaten haben er und seine Neuntklässler eine Schülerfirma gegründet, "Fairäppelt" heißt sie. Nun wollen sie Mitschülern und Eltern nachhaltig hergestellten Apfelsaft verkaufen - und damit Geld verdienen.

Bevor ein Euro Gewinn in die Kasse fließt, müssen sie aber Kosten-Nutzen-Kalkulationen aufstellen, Preisanalysen im Supermarkt durchführen, Rechtsformen verstehen und auch eine Belehrung durchs Gesundheitsamt über sich ergehen lassen. Sogar einen detaillierten Businessplan haben die Schüler aufgestellt. Das Kultusministerium war von der Schülerfirma überzeugt - und bezuschusst sie mit 3000 Euro für den Kauf von Produktionsgeräten für die Apfelsaftherstellung.

Wie in einem echten Unternehmen organisieren sich die Schüler in Teams. Die einen produzieren wie am Fließband, andere debattieren angeregt darüber, wie sich der Apfelsaft am besten vermarkten lässt, und einige plagen sich mit der Buchhaltung rum. "Nur mit schnöder Theorie behalten Schüler das Gelernte vielleicht bis zum nächsten Wochenende. Wenn sie Wirtschaft leben, nehmen sie für immer etwas mit", sagt Lehrer Schierke.

Zwei Stunden pro Woche unterrichtet er die rund 30 Jugendlichen. Zeit, die die Schüler freiwillig investieren. Der Unterricht findet nämlich im Rahmen eines sogenannten Profilfachs statt, zusätzlich zum regulären Unterricht und oft nachmittags, dafür aber auch mit Noten. Solche Profilfächer können Schulen anbieten, um die Interessen der Schüler zu fördern. Hat die Generation Tiktok darauf Lust? Offensichtlich. "Die Schüler rennen uns die Bude ein", ist Schierke begeistert. Das zeige: Kinder und Jugendliche interessieren sich für Wirtschaft. Oft gebe es allerdings zu wenig Angebote. In Fächern wie Sozialwissenschaften oder Gesellschaftslehre sollen Schülern zwar ökonomische Themen behandeln. Ob das geschieht, steht und fällt allerdings mit den Vorlieben des Lehrers - und nicht vor jeder Klasse steht ein Janosch Schierke.

Neulich ist der 40-Jährige mit einigen Schülern nach Berlin gereist, um auf einem Podium über ökonomische Bildung zu diskutieren - mit Finanzminister Christian Lindner. "In meiner Schulzeit hat ökonomische Bildung fast nicht stattgefunden", sagte der FDP-Politiker da.

Seit Lindners Abitur vor 25 Jahren hat sich immerhin etwas getan. Viele Bundesländer haben Wirtschaft als Schulfach eingeführt. Nur: Auch Lehrer haben ökonomischen Nachholbedarf, wie eine Befragung unter hessischen Lehramtsstudierenden vor einigen Jahren zeigte. Demnach konnten sie nur etwas mehr als die Hälfte der Testfragen korrekt beantworten. "Wenn wir mehr und besseren Wirtschaftsunterricht in die Schulen bekommen wollen, müssen wir zuerst die Lehrerausbildung anpacken", mahnt Lehrer Schierke. Bis dann auch jeder Schüler weiß, dass ein Bullenmarkt nichts mit Viehzucht zu tun hat, dürfte es also noch etwas dauern.

5. Die Zukunftsmacher

In Rathenow ist Niklas fertig mit dem Plasmaschneider. Gemeinsam mit Roberto feilt er jetzt an dem Namensschild für seine Schule. Der 14-Jährige hat im vergangenen Schuljahr in einer Autowerkstatt als Mechaniker mitgearbeitet, der 15-Jährige beim Frühstücksservice in einer Gaststätte mitserviert, nun schneiden und löten sie gemeinsam bei MAP. "Metallbau gefällt mir richtig gut", sagt Niklas, der schon morgens um sieben Uhr im Betrieb sein muss. Einen Werktisch weiter arbeiten die Azubis des Betriebs an ihrem Schweißerpass, auch Tyler ist dabei, der nach seinem Praktikum bei MAP gleich geblieben ist. "Das ist für alle eine Win-win-Situation", erklärt Lehrerin und Projektleiterin Jana Brandstäter. "Die Unternehmen können potenzielle Azubis kennenlernen, und die Schüler sehen selbst, worin sie gut sind - und vor allem: dass sie etwas können."

Mit einer Arbeitslosenquote von rund 10,7 Prozent liegt die Region deutlich über dem bundesweiten Schnitt von rund 5,7 Prozent. Viele Kinder in der Schule haben Lernschwierigkeiten, auch Probleme zu Hause sind keine Seltenheit, erzählt Brandstäter. Pläne fürs Berufsleben schmieden? Muss oft die Schule übernehmen. "Wir wollen jedem helfen, seinen Weg zu finden", sagt sie. Um Zeit für die Betriebe zu haben, wird der reguläre Unterricht auf drei Tage komprimiert, die Zeit im Betrieb ist ein eigenes Schulfach: UTP, Unterrichtstag in der Praxis. Mehr als 220 Firmen aus der Region machen mit, denn trotz der hohen Arbeitslosenquote sind viele Stellen gerade im Maschinenbau, bei der Fahrzeug- oder Elektrotechnik unbesetzt. "Wir sind die Matchmaker", sagt Brandstäter: "Kein Schüler verlässt die Duncker-Schule ohne Ausbildungsvertrag oder einen Platz an einer weiterführenden Schule."

Niklas hat noch eineinhalb Jahre - klar ist schon jetzt: Die Funken will er auch in Zukunft fliegen lassen.

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