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Die USA und China subventionieren ihre heimischen Industrien mit Milliarden, der Druck auf Deutschland und Europa wächst, gleichzuziehen. Der Artikel debattiert Vor- und Nachteile staatlicher Subventionierung vor dem Hintergrund aktueller geo- und sicherheitspolitischer Konstellationen. Es gebe bessere Formen der Förderung, wenn aber doch subventioniert werde, sollte dies degressiv bzw. befristet geschehen und regelmäßig evaluiert werden.

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Fabrikverkauf

Die Herausforderung hat eine Adresse, und sie könnte gerade unpassender kaum sein: Sonnenallee, ausgerechnet. Dort, in Bitterfeld-Wolfen, Sachsen-Anhalt, im "Solar Valley", wollte der Solarzellenhersteller Meyer Burger wachsen, eine Fabrik kräftig erweitern und statt 350 bald 700 Mitarbeiter beschäftigen. Es waren große Pläne. Bis sich die Sonne über der Sonnenallee verzog. Oder besser gesagt: weiterwanderte, gen Westen in die USA. Denn jetzt hat Gunter Erfurt, Chef von Meyer Burger, den Aufbruch Ost gestoppt, auch wenn er höflich nur von "pausieren" spricht. Die neuen Anlagen für Bitterfeld werden jetzt in Colorado Springs aufgebaut, einem Ort am Fuß der Rocky Mountains.

Was Saudi-Arabien für den Fußball ist, sind die USA derzeit für grüne Unternehmen: das Eldorado einer neuen, postfossilen Zeit. Die amerikanische Regierung bietet Solar-, Batterie-, Wasserstoff- und Chipherstellern, was diese nicht ablehnen können. Sie schüttet die potenziellen Market Makers des 21. Jahrhunderts mit Milliarden zu, kauft Exzellenz und Expertise, düngt mit Steuernachlässen und Subventionen die Hoffnung auf eine nachhaltig wirtschaftende Zukunft.

Aus Sicht von Meyer Burger heißt das: Die USA bezuschussen die neue Fabrik des deutschen Mittelständlers in Colorado über den Inflation Reduction Act (IRA) bis 2032 mit 1,4 Milliarden Dollar. Für den Ausbau seiner Werke in Deutschland und voraussichtlich Spanien gibt es von der Europäischen Union dagegen vorerst nur eine Hilfszusage von rund 200 Millionen Euro. Kurzum: Die USA hebeln die EU-Hilfen für ein Projekt namens "Hope" (kein Witz) um den Faktor sieben. Und Meyer Burger optiert nicht für eine Standortpolitik nach dem Prinzip Hoffnung. Sondern für eine nach Adam Riese.

Der Partner macht mobil

Es sind bittere Zeiten für die Verantwortlichen in Brüssel und Berlin. Europa hat vor ein paar Jahren das Freihandelsabkommen TTIP mit den USA in den Wind geschlagen, weil man sich dem Wertepartner mit seinen ökologischen und sozialen Standards überlegen fühlte (Chlorhühnchen) - und weil man meinte, die eigene industrielle Basis (Maschinenbau, Autoindustrie) sei viel breiter und gesünder. Nun wollen die USA ihre eingerostete Industrie wieder aufpolieren, "America great again" machen - und zwingen den Deutschen und Europäern einen Subventionswettbewerb auf, der das Zeug hat, die Spielregeln der Weltwirtschaft zu verändern.

Dass das staatskapitalistische China sich nicht an die ehernen Regeln des Liberalismus hält, seine Märkte schützt und seine Industrien päppelt - je nun, daran hat man sich gewöhnt, damit lebt die deutsche Wirtschaft seit Jahrzehnten, das lässt sich verkraften. Doch wenn jetzt auch die erzkapitalistischen USA, der transatlantische Musterpartner, mobil macht, um die wirtschaftliche Heimatfront zu stärken - können sich die Europäer und Deutschen da wirklich noch in vornehmer Zurückhaltung üben und im Namen ihres gesunden Mittelstandes die Kräfte eines Marktes walten lassen, der längst kein "freier Markt" mehr ist?

Braucht es jetzt nicht unsererseits entschlossene Förderprogramme, Investitionsoffensiven und Subventionsmilliarden - weit über die zehn Milliarden Euro für Intel in Magdeburg, die je fünf Milliarden für Tesla in Brandenburg und TSMC in Dresden, die zwei Milliarden für Thyssenkrupp in Duisburg hinaus? Zumal das Beispiel Meyer Burger ja zeigt, dass ausgerechnet die Heimat der Spritschlucker und Ölsüchtigen der vorgeblichen Klimaschutzmacht Europa mit dem IRA seit genau einem Jahr zeigt, wie ökologische Industriepolitik aussieht, die wirkt?

Vertreibung aus dem liberalen Paradies

Schon die Fragen verdeutlichen, dass es auch bittere Zeiten sind für ordoliberale Ökonomen, die der Auffassung sind, dass ein schiedsrichterlicher Staat sich vor allem herauszuhalten habe aus der Sphäre der Wirtschaft, dass er keine Pläne entwerfen solle, sich kein Wissen anmaßen dürfe und dem Ausleseprozesses des freien Wettbewerb vertrauen möge. Subventionen sind in dieser Lesart vor allem Teufelszeug: Sie gelten der Alimentierung nicht wettbewerbsfähiger Unternehmen und stören den effizienten Einsatz von Kapital und Arbeit. So die Theorie. Allein die Praxis - sie sieht anders aus.

Ja, gewiss, es gibt weiterhin gute, sogar sehr gute Gründe, dem Füllhorn eines lenkenden Staates mit großer Skepsis zu begegnen. Das dreifache Problem ist, dass es diese Bilderbuchwelt der Marktwirtschaft seit den 1960er-Jahren auch in Deutschland nicht mehr gibt. Dass viele dieser Argumente aus einer Zeit stammen, als Ökonomen noch Nationalökonomen genannt wurden. Und dass die Konkurrenz heute nicht mehr im nächsten Tal lauert, sondern bestenfalls im fernen Silicon Valley, aber auch in kaderkapitalistischen Gremien in Peking und einem dollarstolzen Weißen Haus.

Kurzum: Man kann Ludwig Erhard und Friedrich August von Hayek nicht zum geopolitischen Kräftemessen zwischen den USA und China befragen. Mit David-Ricardo-Argumenten keinem Handelskrieg beikommen. Und nicht bei Walter Eucken nachschlagen, was zu tun wäre, wenn Taiwan plötzlich keine Halbleiter mehr exportieren könnte oder China ein Exportverbot für seine Seltenen Erden verhängte.

Es ist, wie es ist: Staatsgeld regiert heute die Weltwirtschaft (mit), alles Ökonomische ist politisch aufgeladen, die einst so reibungslos schnurrende, globalisierte, "flache Welt" (Thomas Friedman) ist eine zerklüftete Macht-Arena geworden. Die Brics-Staaten (Brasilien, Russland, China, Indien, Südafrika) haben diese Woche einmal mehr unterstrichen, wonach ihnen der Sinn steht: nach einer Revision der liberalen Weltordnung. Und mit dem Klimaschutz haben auch die Freunde der staatlichen Steuerung im Westen ein überaus kraftvolles Argument für gezielte Subventionen hinzugewonnen, dass vor zwei Jahrzehnten noch kaum eine Rolle spielte.

Also, was jetzt?

Muss Deutschland im Subventionsspiel mitpokern - und China und die USA mit frischen Programmen sogar noch übertrumpfen? Braucht es weitere Milliarden für Ankerindustrien, weil wir sonst riskieren, dass "das Herz unserer Wirtschaft nicht mehr schlägt", so Karl-Heinz Paqué, der Vorsitzende der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung und ehemalige Finanzminister von Sachsen-Anhalt? Würde ein Nein zum "unternehmerischen Staat" (Ökonomin Mariana Mazzucato) bedeuten, dass Deutschland sich deindustrialisiert - und als Wohlstandsnation nach hinten durchgereicht wird?

"Die Zeit drängt"

Robert Habeck ist da ziemlich klar: "Wir müssen an unserer Wettbewerbsfähigkeit arbeiten. Die Zeit drängt", warnt der Wirtschaftsminister: "Unsere globalen Wettbewerber schlafen nicht und gehen mit massiv Geld rein. Wir dürfen uns hier international nicht ins Abseits drängen lassen." Deshalb halte er es für wichtig, "unsere Industrie in dieser angespannten Lage zu unterstützen".

Man sollte sich von der zur Schau gestellten Entschlossenheit allerdings nicht täuschen lassen. Nicht so sehr Cheftransformator Habeck, wohl aber die Bundesregierung als Ganzes tut sich sehr schwer mit der neuen Zeit. Die Angst vor dem Abstieg geht um in Berlin, auch wenn sich kaum einer traut, das laut zu sagen. Und mit der Angst steigt der Druck eines interessierten Teils der Wirtschaft: Zahlt viel, zahlt schnell, liebe Regierende - sonst ist die Zukunft nicht grün, sondern schwarz!

Aus fast jeder Industrie ertönt inzwischen dieselbe fordernde Botschaft. Ob Meyer Burger mit Solarzellen oder Northvolt mit Batteriezellen, ob Salzgitter und Thyssenkrupp beim Stahl, Intel oder TSMC bei Halbleitern und Computerchips: Geld her oder Licht aus - ihr habt die Wahl. Oder, wie Christian Kullmann, Chef von Evonik und Präsident des Verbandes der Chemischen Industrie, sich mit Blick auf einen subventionierten "Industriestrompreis" ausdrückt: "Ich finde es toll, dass die Grünen mit uns gemeinsam diesen Weg gehen."

Regierungen, Kanzler, Minister und ihre wirtschaftspolitischen Berater stürzt das in ein Dilemma: mitziehen, immer öfter Millionen oder gar Milliarden aufbringen, die dann an anderer Stelle fehlen - zuvörderst den ebenfalls darbenden Mittelstands- und Handwerksbetrieben? Oder in ordnungspolitischer Schönheit sterben? Sie müssen entscheiden: Wo lohnt es sich, das Geld der Steuerzahler zu investieren, welche Produkte sind für die Wirtschaft der Zukunft unerlässlich? Und wo hält man eine Industrie künstlich am Leben, die besser anderswo gedeihen könnte, irgendwo im befreunden Ausland.

Unter Strom

Nirgendwo lassen sich die Zwänge und Zielkonflikte so exemplarisch zeigen wie bei der Debatte um den Industriestrompreis, die die Ampel nun schon seit Monaten beschäftigt. Die klassischen Konfrontationslinien sind hier überhaupt nicht mehr zu erkennen: Der Kanzler, die mittelständischen Familienunternehmer und die FDP sind (tendenziell) dagegen. Die großen Wirtschaftsverbände hingegen trommeln mit den Grünen um Habeck, weiten Teilen der SPD, den meisten Ministerpräsidenten (egal, welcher Partei) und der oppositionellen Union für einen gedeckelten Strompreis. Wann hat es so eine Konstellation schon einmal gegeben? Und wer hat denn nun recht?

"Der Strompreis ist die zentrale Investitionsdeterminante", wirbt Jens Südekum. Der Ökonom lehrt an der Uni Düsseldorf, gehört im wissenschaftlichen Beirat des Wirtschaftsministeriums zu den engsten Beratern von Habeck, nimmt auch im Kanzleramt an den Runden der Top-Ökonomen teil. Wenn sich die Unternehmen darauf verlassen könnten, dass der Strompreis nicht über sechs Cent pro Kilowattstunde steige, "dann werden sie ihre Investition auch in Deutschland machen", ist Südekum überzeugt: "Der Industriestrompreis kann deshalb zum Transformationsbeschleuniger werden."

Ein paar Hundert Kilometer weiter südlich kann ein anderer Top-Ökonom nur den Kopf schütteln über diese expansive Ausgabenlust. Dort, in Freiburg, ist Lars Feld Professor für Wirtschaftspolitik und Direktor des Walter Eucken Instituts, Finanzminister Christian Lindner hat ihn zu seinem Chefökonomen ernannt: "Es gibt wenige vernünftige Subventionen, und der Industriestrompreis gehört keinesfalls dazu. Ich bin strikt dagegen", widerspricht Feld: "Das wird eine Dauersubvention, die enorm viel Geld kosten wird."

Zugegeben, meint Feld, "die Welt von Ludwig Erhard gibt es schon lange nicht mehr". Auch sei er nicht aus Prinzip gegen Subventionen. Aber das heiße noch lange nicht, dass "man jetzt plötzlich wirtschaftspolitisch unsinnige Maßnahmen ergreifen muss".

Die reine Lehre

Also noch mal: Was denn jetzt?

Die reine Lehre der klassischen Ökonomie, so viel ist klar, hat von staatlichen Subventionen nie viel gehalten. Sie stehen für eine willkürliche Privilegierung der Empfänger, die aus eigener Kraft den Herausforderungen der Märkte nicht gewachsen sind. Sie sind teuer für die Steuerzahler und verursachen oft große Streuverluste und Mitnahmeeffekte. Die Politik maßt sich ein Fortschrittswissen an, das sie nicht haben kann, und fördert womöglich Unternehmensaktivitäten, die auch ohne Staatshilfe getätigt worden wären. Oder solche, die sich später als ineffizient herausstellen.

Alles richtig. Nur gehört zur Wahrheit, dass sich die real existierende Politik für derlei theoretische Erörterungen nie besonders interessiert hat. Gefördert wurde immer, unterschieden wurde nur beim Ausmaß. 200 bis 300 Milliarden Euro (in Preisen von 2008) haben sich die Deutschen das Leben und Sterben der Steinkohle kosten lassen, hat der Wirtschaftshistoriker Franz-Josef Brüggemeier errechnet. Und die Gründe waren den heutigen Argumenten verblüffend ähnlich: Bei der Kohle (und Landwirtschaft) spielte das Argument der "Energiesicherheit" eine tragende Rolle; bei den Subventionen für die EDV-Industrie (1,8 Milliarden Mark nominal) - vor allem an die recht gesunden Unternehmen Siemens und AEG Telefunken - ging es in den 1970er-Jahren um Projekte von einem vermeintlich überragenden "nationalen Interesse".

Subventionen seien die "staatliche Kraftnahrung für jene Kinder der Nation, die am lautesten brüllen", befand der italienische Komödiant Totò bereits im vergangenen Jahrhundert. Und offenbar wird in Deutschland besonders laut gebrüllt: Der 2021 vorgelegte Subventionsbericht des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) hat Staatshilfen im Umfang von 87,2 Milliarden Euro zusammengetragen - neuer Rekord. "Seit dem Jahr 2014 sind die Finanzhilfen des Bundes auf Expansionskurs", schreiben die Autoren Astrid Rosenschon, Claus-Friedrich Laaser und Klaus Schrader. Allein seit 2019 hat sich demnach das Volumen um 30 Milliarden Euro erhöht. Aktuell arbeiten IfW-Ökonomen am Bericht für 2023; die Veröffentlichung ist für September oder Oktober vorgesehen.

Einmal Subvention, immer Subvention

Klar ist schon jetzt: Mehr Bescheidenheit ist nicht in Sicht. Weder bei der Ausgabenbonanza für frische Fabriken noch was die Zurücknahme klassischer, vor allem klimaschädlicher Subventionen betrifft. Nach einer gründlichen Durchsicht kommt die Leitungsebene bei Finanzminister Lindner zu dem Schluss: Es gibt "keine Milliardenbeträge, die wir einfach streichen können". Und ein Ministerialbeamter dekretiert mit Blick auf den Abbau umweltschädlicher Subventionen: "Da ist nicht viel zu holen." Ausgerechnet den beiden Vorzeigesubventionen der Grünen - Pendlerpauschale und Dienstwagenpauschale - sprechen die Liberalen schlichtweg den Subventionscharakter ab.

Auch die anderen, aus Sicht des Finanzministeriums echten Subventionen sind nicht so einfach zu handhaben - und erst recht nicht leicht zu beseitigen. Es sei denn, Grüne und Sozialdemokraten wollten sich tief ins eigene Fleisch schneiden. Da wären zum Beispiel 2,3 Milliarden Euro Umsatzsteuerermäßigung für kulturelle Leistungen im Jahr 2024. Oder 1,8 Milliarden Euro Energiesteuerbegünstigung für die gewerbliche Wirtschaft. Oder 1,4 Milliarden Euro Steuermindereinnahmen beim Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlag. Oder eine Milliarde Euro Umsatzsteuerermäßigung für den öffentlichen Personenverkehr. Noch schwieriger wird es, wenn man die sonstigen steuerlichen Vergünstigungen auflistet: Auf Rang eins mit 11,1 Milliarden Euro rangiert die umsatzsteuerliche Befreiung der Heilbehandlungen. Eine Umsatzsteuerpflicht von 19 Prozent würde die Krankenkassen tief in die Krise stürzen.

Es ist eine Art stilles Subventionsgesetz: Jede Förderung scheint irgendwie ihre Berechtigung zu haben - und schreibt sich, einmal in die Welt gesetzt, ins quasi Unendliche fort. Erst recht, wenn es um die großen Fragen geht: um "die Wirtschaft", "den Standort", "die Branche" und "die grüne Zukunft".

Staatliche Förderung gab es deshalb vom ersten Tag der jungen Bundesrepublik an - sei es, um den Wiederaufbau der kriegszerstörten Wirtschaft zu fördern, sogenannte Zonenrandgebiete zu entwickeln ("regionale Strukturmaßnahmen"), Schlüsselbranchen anzukurbeln (Bergbau, Stahl, Luftfahrt, Computer) oder ausgesuchte Industriebereiche und -betriebe zu unterstützen.

Aber noch keine Bundesregierung hat so viele Staatshilfen ausgelobt wie die Ampelkoalition. Der Löwenanteil fließt in die "ökologische Transformation" der Wirtschaft, natürlich auch so ein Wieselwort für interessierte Kreise und Politiker mit Visionen: "Es ist kein Widerspruch, klimaneutral zu werden und zugleich ein starkes Industrieland zu bleiben", so Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Das ist das neue Rational in der alten Debatte: Subventionen sollen auf keinen Fall mehr das Überkommene und Überfällige hinauszögern, sondern eine grüne Zukunft stiften. Selbst die Erhaltungssubventionen des "Kohleausstiegsgesetzes" (40 Milliarden Euro) sind als Transformations- und Investitionssummen gedacht.

Es kommt drauf an

Das wichtigste Vehikel der Wahl aber ist der Klima- und Transformationsfonds. Im Wirtschaftsplan für das nächste Jahr stehen der Bundesregierung allein dort 58 Milliarden Euro zur Verfügung - bei einem Gesamtvolumen von insgesamt 210 Milliarden Euro.

"Sterbebegleitung - und zwar ohne Aussicht auf Auferstehung", nennt Ökonom Südekum viele Hilfen der Vergangenheit, "jetzt aber geht es um etwas ganz anderes." Sein Kollege Lars Feld konzediert: "Dort, wo wir mit neuen Technologien leistungsfähigere Produkte herstellen können, kann eine Anschubsubventionierung und Forschungsförderung sinnvoll sein." Und Joachim Ragnitz vom ifo Institut Dresden fügt hinzu: "Subventionen sind zu rechtfertigen, wenn sie in Forschung und Entwicklung fließen und die technologische Leistungsfähigkeit erhöhen." Dann komme es "im besten Fall zu Spillover-Effekten auf die gesamte Wirtschaft, weil auch anderenorts Innovationen angeregt werden".

Es scheint sie also zu geben, die besseren und die schlechteren Subventionen. Oder?

Den Befürwortern industriepolitischer Großtaten fällt meist der Airbus ein: Nur staatliche Hilfe habe einen Weltmarktführer geschaffen, der in Europa eine ganze Hightechbranche mitzieht und die Vorteile europäischer Zusammenarbeit lebt, fast mehr als die EU selbst.

Doch das Bild ist geschönt.

Es stimmt schon: Die Unternehmensgruppe sorgt in Europa für mindestens eine Viertelmillion hoch qualifizierter Jobs in ihren eigenen Werken und bei ihren Zulieferern. Ein großer Teil davon liegt in Regionen wie Wales oder in der Pfalz, die in der Zeit vor Airbus eher strukturschwach waren. Dazu zahlt die Branche jedes Jahr einen zweistelligen Milliardenbetrag an Steuern. Und das dürfte noch Jahrzehnte so bleiben.

Dazu hat Airbus wie nur wenige Unternehmen die Globalisierung beschleunigt und weltweites Wachstum befeuert. Seit die Gruppe 1970 mit dem A300 für mehr Wettbewerb in einem Markt sorgte, der bis dahin von den US-Herstellern Boeing und McDonnell Douglas dominiert wurde, sind Jets laut Studien inflationsbereinigt mindestens fünf Prozent billiger geworden und fliegen dank modernerer Technik bis zu 50 Prozent effizienter. Nur dank der Subventionen meisterte Airbus die besonders hohen Einstiegshürden der Branche.

Das ist das eine. Das andere: Es dauerte rund 30 Jahre, bis der Flugzeugbauer Ende der 1990er-Jahre erstmals überhaupt so etwas wie einen Gewinn erwirtschaftete. Bis dahin bekam der Konzern laut Schätzungen von seinen vier Heimatländern inflationsbereinigt bis zu 40 Milliarden Euro.

Der Wasserstoff, aus dem die Träume sind

Und damit zurück in die Gegenwart. Es ist erst ein paar Wochen her, da steht Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Halle auf dem Gelände des Thyssenkrupp-Stahlwerks in Duisburg, eingerahmt von mächtigen, schimmernden Stahlbandrollen, um sich eine Direktreduktionsanlage anzusehen, wenn auch nur als Modell. Auf einer Fläche von 40 Fußballfeldern soll die Anlage gebaut werden, 145 Meter hoch wird sie sein, nur 10 Meter weniger als der Kölner Dom. Dazu soll es "Einschmelzer", geben, die, so heißt es von Thyssenkrupp, technologisch eine "Weltneuheit" darstellten. Ab 2026 soll diese neue Reduktionsanlage, befeuert von Wasserstoff statt Kohle, einen Hochofen ersetzen, rund 2,7 Milliarden Euro soll das Projekt kosten. "Viele schauen mit Skepsis, manche mit Sorgen auf die Zukunft einer veränderten Technologie der Stahlerzeugung", sagt Steinmeier: "Aber hier in Deutschland wollen wir - vielleicht müssen wir - den Beweis erbringen, dass klimafreundliche, klimagerechte Stahlerzeugung möglich ist."

Aber müssen wir wirklich? Wäre es nicht besser, den Rohstahl zu importieren, aus einem sicheren, befreundeten Staat wie Schweden etwa? Den Steinmeier'schen "Beweis" lässt sich die Bundesregierung jedenfalls schon jetzt einiges kosten. Nach einigem erbitterten Hin und Her zwischen der Thyssenkrupp-Zentrale in Essen, dem Wirtschaftsministerium in Berlin und der EU-Kommission, nach mächtigem Druck der Gewerkschaften, allen voran der IG Metall, hat Habeck Thyssenkrupp vor ein paar Tagen eine Förderzusage gegeben: 2,0 Milliarden Euro insgesamt, 1,3 Milliarden Euro vom Bund, 700 Millionen Euro vom Land NRW.

Auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht zur Staatshilfe keine Alternative, wenn man Industrieland bleiben und der Abwanderung großer Unternehmen ins Ausland nicht tatenlos zusehen wolle. Einerseits könnte man solche Subventionen zwar als ordnungspolitische Sündenfälle bezeichnen, räumt Wüst ein. Aber bei der Entwicklung von grünem Stahl biete sich "die einzigartige Chance, Wertschöpfung, internationale Wettbewerbsfähigkeit und gute Arbeitsplätze am Standort NRW zu erhalten". Stahl sei die Basis unzähliger Industrieprodukte, betont Wüst.

Aber mit den Anlagen allein ist es ja nicht getan. Der Wasserstoff, der diese Anlagen befeuern soll, muss auch beschafft und herangeschafft werden - vor allem aus dem Ausland. Und auch das wird kosten. Derzeit gibt es in Deutschland weder die allein für die Stahlindustrie notwendigen Produktionskapazitäten, noch gibt es das entsprechende Pipelinesystem. Immerhin haben sich in diesem Sommer die Pläne für ein deutsches Wasserstoff-Kernnetz konkretisiert, und die Bundesregierung hat in der neuesten Fassung ihrer "Nationalen Wasserstoffstrategie" die Ziele hochgeschraubt: Bis 2030 sollen allein in Deutschland Elektrolysekapazitäten von zehn Gigawatt für die Erzeugung von Wasserstoff aufgebaut werden.

Brüsseler Milliarden

Da passt es gut, dass die deutschen Förderambitionen von einer anderen Deutschen geteilt werden: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Im März 2020 hat die Kommission eine Regelung bekannt gegeben, damit EU-Mitgliedstaaten in der Pandemie Unternehmen großzügig unterstützen konnten. Die Ausnahmen sollten zeitlich beschränkt bleiben. Doch dann griff Russland im Februar 2022 die Ukraine an, und der vorübergehende Rahmen wurde erneut verlängert, in diesem Februar abermals. Von der Leyen begründete den Schritt als Reaktion auf den Inflation Reduction Act. Die EU müsse eine Alternative anbieten zu den Offerten, die europäische Unternehmen aus den USA erhielten: "Wir wollen, dass die Industrie hier bleibt und gedeiht."

Geflossen ist reichlich Staatsgeld. 741 Milliarden Euro Subventionen hat die EU seit 2020 erlaubt, alleine 360 Milliarden Euro in Deutschland und 168 Milliarden in Frankreich. Die Zahlen zeigen: Es sind nicht die Summen allein, die Amerika gerade als ausgelobtes Land erscheinen lassen. Eher ist es die Tatsache, dass die Europäer ihr Geld viel umständlicher verausgaben.

Von der Leyens Willen, öffentliches Geld in die Wirtschaft zu pumpen, tut das keinen Abbruch. Der Chips Act, eine Reaktion auf die gleichnamige Initiative der USA, ermöglicht EU-Staaten, moderne Produktionsstätten für die Chipfertigung in nicht gekanntem Ausmaß zu bezuschussen. Auch Innovationen zur Dekarbonisierung dürfen Mitgliedstaaten großzügig fördern, wenn sich Hersteller aus mehreren Ländern zusammentun. Die unter dem Kürzel IPCEI gefassten Großförderungen müssen die üblichen Regeln nicht befolgen. Milliarden wurden im Zuge dessen in Brüssel etwa für Batteriefabriken und Wasserstoffprojekte genehmigt.

Teilweise werden diese Projekte auch aus dem Coronawiederaufbaufonds finanziert. Der kommt zu den nationalen Hilfen noch hinzu. Für den Fonds, mit 723 Milliarden Euro gefüllt, hat sich die EU zum ersten Mal gemeinsam verschuldet. Der Deal: Im Austausch für Reformen bekommen EU-Staaten Geld aus Brüssel, das sie zu 37 Prozent in grüne und zu 20 Prozent in digitale Projekte kanalisieren müssen. Ob das Geld produktiv eingesetzt wird, ist beim Wiederaufbaufonds zweitrangig. Hauptsache, die Milliarden regnen.

Und natürlich, es gibt sie ja auch, die Leuchttürme und Vorzeigeprojekte in der deutschen Subventionsgeschichte. Der liberale Volkswirt Paqué etwa ist davon überzeugt, dass Kanzler Helmut Kohls Rettung des Chemiestandorts Leuna und die gezielte Förderpolitik Kurt Biedenkopfs in Sachsen sich bezahlt gemacht hätten: Er spricht von Ankern, Treibern, Innovationsspitzen rund um einen industriellen Kern, von Verzahnungen zwischen Industrie und Forschung und Kaskadeneffekten, von denen ganze Regionen (und damit auch der Mittelstand) profitierten.

Aber natürlich teilt er zugleich die Einschätzung des Wirtschaftshistorikers: Subventionen wirken nur dann, "wenn sie zu dauerhaften Produktivitätsverbesserungen führen - also die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen steigern", sagt Werner Plumpe, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Universität Frankfurt. Dies könnten Forschungsbeihilfen sein oder indirekte Investitionsanreize durch Steuerverzicht - wie etwa die weitreichenden Abschreibungsregeln in den 1950er-Jahren, die maßgeblich zur Eigenkapitalbildung in den Unternehmen beitrugen. "Teuer und wenig wirksam waren und sind hingegen Subventionen, die relative Preise zugunsten bestimmter Unternehmen verändern sollen, die sonst nicht wettbewerbsfähig wären", mahnt Plumpe. Für ihn ist mit Blick auf die historischen Erfahrungen "die derzeitige Verschenkerei von Geld ökonomisch nicht zu rechtfertigen".

Es ginge besser

Wie aber sollten Subvention, wenn man sie denn zahlt, ausgestaltet sein, um Kollateralschäden möglichst klein zu halten? In der Wirtschaftswissenschaft gibt es eine Reihe von Ideen. Erstens: Staatshilfen sollten befristet und degressiv sein, also im Zeitverlauf abnehmen. Wichtig wäre zudem, dass die Politik ihre Subventionen regelmäßig evaluieren lässt und überprüft, ob die gewünschten Ziele überhaupt erreicht werden. Eine ifo-Studie zur Förderpolitik in Sachsen brachte vor einem Jahr zutage, dass dort 250 Förderprogramme existierten, die zum großen Teil seit über 20 Jahren liefen. "Da guckte offenbar keiner richtig hin, ob diese Programme noch erforderlich sind" kritisiert Mitautor Joachim Ragnitz. Er schlägt eine unkonventionelle Subventionsmethode vor: Versteigerungen. Wer für eine bestimmte, von der Politik gewünschte Transaktion am wenigsten fordere, solle die entsprechende Staatshilfe bekommen.

Was in der Subventionsdebatte bislang oft untergeht, sind auch mögliche "Zweitrundeneffekte". Eine subventionsfreudige Politik provoziert Vergeltungsmaßnahmen anderer Staaten, die ihrerseits intervenieren, um ihre eigenen Unternehmen zu stärken. Die US-Ökonomen Aaron Flaaen und Justin Pierce fanden etwa heraus, dass der US-Industrie durch die Zollerhöhungen Donald Trumps aufgrund von Vergeltungsmaßnahmen mehr Jobs verloren gingen als durch den verstärkten Einfuhrschutz gewonnen wurden. Weil die Zölle die von US-Unternehmen verwendeten Vorprodukte verteuerten, kam es laut Flaaen und Pierce zu einem Rückgang der Industriebeschäftigung von 2,7 Prozent.

"Eine Industriepolitik des Wie-du-mir-so-ich-dir verzerrt die relativen Preise und verringert die wirtschaftliche Effizienz, weil sie politische Launen über komparative Kostenvorteile stellt", warnt Michael Strain, Direktor für wirtschaftspolitische Studien am American Enterprise Institute, einer liberalen Denkfabrik in Washington. Je mehr Länder Subventionen einführten, umso stärker reduziere dies die Wirkung der Staatshilfen. "Am Ende verbrennt die Industriepolitik das Geld der Steuerzahler", warnt Strain.

Der Sonnenuntergang?

Das Dilemma: Die Politik schlägt die Warnungen der Wissenschaft in den Wind. Das Misstrauen regiert. Der Wunsch nach Resilienz schlägt wirtschaftspolitische Kohärenz. Die nationale Sicherheit steht - teils zu Recht - höher im Kurs als die Sorge vor Effizenzverlusten.

Und damit noch einmal zurück zur Sonnenallee. Und zu den großen deutschen Solarplänen. Bis 2030 sollen 80 Prozent des Stromverbrauchs von erneuerbaren Energien abgedeckt werden. Die Fotovoltaik spielt eine entscheidende Rolle. In der vergangenen Woche erst hat Robert Habeck ein "Solarpaket 1" vorgelegt, mit dem der Ausbau massiv beschleunigt werden soll. Umsetzen lässt sich das bislang aber nur mithilfe Chinas. Ausgerechnet. Die Abhängigkeit der Deutschen ist groß. 87 Prozent der nach Deutschland importierten Fotovoltaikanlagen stammten 2022 aus China. Peking hat laut Internationaler Energie Agentur im vergangenen Jahrzehnt rund 50 Milliarden Dollar in den Ausbau der Fotovoltaiklieferkette investiert. Und die chinesischen Konzerne liefern, was das Zeug hält.

Die Preise für Solarmodule befinden sich "im freien Fall", warnt Meyer-Burger-Chef Gunter Erfurt. Nicht weil China sie plötzlich günstiger produziere, sondern weil Peking nachhelfe, die Preise zu reduzieren: "In Europa werden Module zu Preisen abgegeben, die 35 bis 50 Prozent unter chinesischen Herstellungskosten liegen. China verschenkt seine Solarmodule an die Europäer, aber sicher nicht aus Nächstenliebe."

Weil Europa "nach wie vor der einzige Kontinent sei, der noch an marktliberales Wirtschaften glaubt, ist gegen die chinesischen Produzenten bisher nicht viel zu machen", sagt Erfurt. Das, was im Bereich der Solarindustrie heute geschehe, sei nur ein Vorgriff auf das, was demnächst auch im Automobilbereich geschehen werde: "China macht uns bei strategisch wichtigen Produkten abhängig." Europa befinde sich in einem "industriepolitischen Endgame", für die heimische Solarindustrie sei es ein "Jetzt-oder-nie-Moment".

Erfurt weiß, was er da sagt: Bei so viel Drama bleiben Politiker nicht untätig.

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