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Der Artikel erörtert das Modernisierungspotenzial im Handwerk am Beispiel eines Elektrikers und eines Heizungsbauers. Heizungsbauer Thermondo schaffte es, durch Arbeitsteilung sowie digitalisierte, standardisierte und effiziente Arbeitsabläufe die Einbaugeschwindigkeit von Wärmepumpen zu verdoppeln. Der Elektriker Dörflinger ist Digitalisierungsbeauftragter des Elektrikerverbands und scheitert in seinen Plänen an Veränderungsstress und Überforderung der Mitarbeitenden und Verbände.

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Geht das auch schneller?

Seit er seine Lehre als Heizungsinstallateur abgeschlossen hat, hat Daniele Russo zwei sehr unterschiedliche Arten kennengelernt, seinem Beruf nachzugehen. Bis vor zwei Jahren arbeitete er in einem 15-Mann-Betrieb im Ruhrgebiet – und war genervt, wie wenig Zeit er mit dem verbrachte, was er wirklich gut kann: Heizungen ­einbauen.
Die Zettelwirtschaft damals ärgerte ihn, bei der manchmal Unterlagen verloren gingen und immer wieder kostbare Arbeitszeit. Oft erfuhr er erst morgens, dass es am Abend auf Überstunden hinauslaufen sollte und er Feierabendpläne verschieben musste. Die ganze Ineffizienz, und das bei immer mehr Arbeit.
Vor zwei Jahren aber zog Russo, heute 28, nach Berlin. Er musste sich einen neuen Arbeitgeber suchen. Ein Glücksfall, wie er heute sagt. Er lernte seinen Beruf auf eine neue Art kennen. Vor Dienstbeginn muss er jetzt nur die schwarze Monteurskluft der Firma überstreifen und das Dienst-Tablet einstecken; der kleine Computer ist aus seinem Arbeitsalltag inzwischen so wenig wegzudenken wie die Rohrzange. Russo kann sich über die Software frühzeitig über seine Arbeitsaufträge informieren. Konflikte mit der Feierabendplanung sind selten geworden, unnö­tige Wartezeiten ebenso.
Zum Einsatz geht es ohne Umwege, in der Firma ist Russo seit Monaten nicht mehr gewesen. Den Kaffee mit den Kollegen, den Plausch vor dem Ausschwärmen – er vermisst nichts davon. Russo will einfach nur zügig arbeiten. »Ich sitze nicht gern im Büro herum. Ich bin lieber auf der Baustelle.«
An diesem Morgen hat ihn das Tablet an den Stadtrand Berlins gelotst, nach Reinickendorf, Ortsteil Waidmannslust. Berlin sieht hier kaum aus wie eine Hauptstadt und nicht viel anders als der Rest der Republik. Hinter einem schmiedeeisernen Gartenzaun steht ein Einfamilienhaus. Russo und sein Team sollen bei Familie Meyer eine Wärmepumpe installieren. Auf den Einbau des begehrten Stücks mussten die Meyers nur wenige Wochen warten. Geht doch!

Die Aufgabe

Die Wärmepumpe ist zum Sinnbild geworden für den großen Umbau des Landes. Sechs Millionen Geräte sollen bis 2030 verbaut sein. Mit den Heizungen ist es nicht getan: Damit die CO₂-Emissionen im Gebäudesektor innerhalb von sieben Jahren um 40 Prozent sinken, müssen im Land Millionen Häuser nachträglich gedämmt werden. Überall müssen neue Solaranlagen auf Dächer, Batteriespeicher in Keller, Ladesäulen an Garagenwände. Die Energiewende wird das ganze Land auf Jahre hinaus mit Abertausenden Baustellen überziehen, manche kleiner, manche größer. Und wie die Meyers fragen sich Millionen Bürger: Wie schnell können die Handwerker anfangen? Und wie lange brauchen sie?
Die Herausforderung ist gewaltig. Und sie trifft auf eine fast schon atomisierte Branche. Das Handwerk kommt zwar zahlenmäßig wie eine Macht daher: 5,4 Millionen Menschen waren dort zuletzt bundesweit beschäftigt, siebenmal so viele wie in der deutschen Autoindustrie. Allein das Elektrohandwerk zählt etwa 530.000 Beschäftigte, der Bereich Sanitär Heizung Klima (SHK) weitere gut 390.000. Doch die allermeisten dieser Kräfte verteilen sich auf Klein- und Kleinstbetriebe. Ein Großteil der Handwerksfirmen hat noch immer kaum mehr als eine Handvoll Mitarbeiter. Buchhaltung und Büro? Macht oft der Ehepartner am Wochenende.
Unter diesen Bedingungen arbeiten schon jetzt viele Handwerkerinnen und Handwerker am Limit. Ein Drittel der Sanitär- und Heizungs­betriebe gab zuletzt an, am Rande der Kapazitäten zu operieren. Bei einem weiteren Drittel liegt die Auslastung nach eigener Aussage bereits jenseits von 100 Prozent.
Die Folgen bekommen Kunden jeden Tag zu spüren, oft in Form frustrierend langer Wartezeiten. Selbst die Krise am Bau hat bislang für wenig Entlastung gesorgt. Wer einen Maler, Elektriker oder Heizungsprofi für größere Arbeiten sucht, musste zuletzt laut einer Auswertung des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Schnitt noch immer fast zehn Wochen warten. So fragen sich viele im Land: Geht das nicht auch schneller?

Die Antwort der Start-ups

Eine Antwort geben Firmen, die mit klassischen Handwerksbetrieben nicht mehr viel gemein haben. Dazu gehören bundesweit aktive Solar­installateure wie Enpal oder Zolar, aber auch Russos Arbeitgeber, der Wärmepumpenpionier Thermondo. Die Start-ups setzen darauf, dass sich Handwerk effizienter machen lässt, wenn es aus seinen traditionellen Organisationsformen herausgelöst wird. Es geht darum, Skaleneffekte zu nutzen, den Vorteil größerer Verbünde. Die Arbeitsabläufe denken sie von Anfang an digital, gepaart mit einer konsequenten Arbeitsteilung, die sich sonst eher in der Industrie findet.
Russos Arbeitgeber Thermondo hat sich mit 800 Mitarbeitern binnen wenigen Jahren zum größten Heizungsinstallateur des Landes gemausert. Die Firma sorgt dafür, dass ihre Leute auf der Baustelle nicht mehr tun müssen als unbedingt nötig. In Waidmannslust bei den Meyers sieht das so aus: Bevor Daniele Russo mit seinen Kollegen angerückt ist, hat Thermondo schon einen Landschaftsgärtner beauftragt. Der Subunternehmer hat die Fundamente für die Außeneinheit der Wärmepumpe im Erdreich versenkt. Ein Schrottunternehmen hat die alte Gastherme abgeholt. Früh am Morgen wiederum hat ein Lieferwagen Rohre angeliefert.
Diese zuverlässige Vorbereitung der Baustelle sei der größte Unterschied zu kleinen Betrieben, sagt Russo. Dort wisse der Installateur oft nicht genau, wie die Räume beim Kunden aussehen. Wie weit ist der Heizungsraum vom Garten entfernt? Wie viele Wände müssen noch gleich für die Leitungen durchbrochen werden? Dann fehle oft passendes Material. Bei seinem alten Arbeitgeber habe er sich in solchen Fällen selbst ins Auto gesetzt und sei zum Großhandel oder Baumarkt gefahren. »Totfahrten« nennen Handwerker solche überflüssigen Touren, die für die Kunden auch noch teuer sind.
Die Effizienzdenke der Start-ups ist auch aus der Not geboren. Fachkräfte sind kaum noch zu finden. ­Firmen im Sanitär- und Heizungsbereich suchten 2022 im Durchschnitt 127 Tage, bis sie eine offene Stelle besetzen konnten, in der Bauelektrik 112 Tage. Glücklich, wer die Vakanzen überhaupt füllen kann: »Viele Unternehmen könnten sich auch auf den Kopf stellen und würden trotzdem keine zusätzlichen Leute finden«, sagt Lydia Malin, Arbeitsmarktexpertin am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Selbst wenn alle aktuell arbeitslosen Handwerker morgen freie Stellen besetzen könnten, wären es noch immer 120.000 zu wenig. Und der demografische Wandel beginnt gerade erst, auf den Jobmarkt durchzuschlagen.
Auch auf Thermondo-Baustellen läuft mal etwas ungeplant. Für die Wärmepumpe der Meyers in Waidmannslust fehlen Rohverkleidungen, ist einem Montagehelfer aufgefallen. Noch am Vormittag wirft ein DHL-Kurier ein Paket mit »Eilt«-Aufkleber in die Einfahrt. Die Teile kommen aus einem Lager, das die Firma von einem Logistiker betreiben lässt. Die Monteure fühlen sich ein wenig wie Operateure in einem Krankenhaus. Chi­r­urgen müssen auch nicht selbst den OP vorbereiten und können sich auf das konzentrieren, was sie am besten können. »Toll, mit Profis zu arbeiten«, sagt Daniele Russo.

Operation Tempo

Nicht alle in der Branche sind so begeistert von Thermondo. Früher sei es schon vorgekommen, dass Handwerksvertreter ihm den Handschlag verweigerten bei Veranstaltungen, erzählt Russos Chef, Thermondo-Gründer Philipp Pausder. Das sei heute aber anders.
Schon seine Biografie ist ungewöhnlich für Branchenverhältnisse. Als Schüler habe er zwar mal auf Baustellen gejobbt, sagt Pausder. Es folgten ein Wirtschaftsstudium und eine Karriere in Konzernen, unter anderem im Marketing bei Adidas. Dann machte Pausder sich selbstständig.
Thermondo ist ein spannendes Experiment: Wie sieht ein Handwerksunternehmen aus, das nicht von einem Handwerker erdacht wird, ­sondern von einem Außenseiter? Bei Pausder dreht sich vieles um »Skalierbarkeit«. Gemeint ist: Geschäftsabläufe im Kleinen so zu perfektionieren, dass sie sich später ohne große Umstellung auf viel größere Einheiten und Umsätze anwenden lassen.
Den nächsten Sprung hatte Pausder schon vorbereitet: 2023 wollte er 300 neue Leute einstellen, zum Jahreswechsel dann noch einmal 800. Dann versank die Heizungsstrategie der Bundesregierung im Chaos, und die Nachfrage nach Wärmepumpen brach vorübergehend ein.
Die Infrastruktur fürs Expandieren aber steht. Ihr Herz bilden Softwareprogramme, für die es kaum einen Unterschied macht, ob sie den Einsatz von 300 Teams planen oder von 3000. Der Name eines der Systeme klingt nach Rohrzange und Schnauzer: »Manfred« wird von Kunden­beratern mit Wünschen der Auftraggeber und Fotos ihrer Häuser gefüttert. Die Software erstellt daraus ein Angebot und Materiallisten für die Logistik. Ein anderes Programm übernimmt die Steuerung der Abläufe auf den Baustellen. Es läuft auch auf den Tablets von Daniele Russo und seinen Kollegen.
»Software zahlt sich immer aus«, sagt Pausder. Die effizienteren Abläufe schlügen sich in einer höheren Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern nieder. Seine Monteure schafften es, in der gleichen Zeit doppelt so viele Wärmepumpen zu installieren wie im Branchenschnitt.
Pausders Kalkulation geht so: Rechnerisch bräuchte ein einzelner Installateur im tra­ditionell organisierten Handwerk bislang 18 Tage, um eine Wärmepumpe in Betrieb zu nehmen. Allein mit strikter Arbeitsteilung hat Thermondo die Zeit um 40 Prozent verkürzt. Durch technische Standardisierung und digitale Technologien hat sich die Einbau­geschwindigkeit insgesamt sogar verdoppelt.
Das klingt so vielversprechend, dass andere aufmerksam geworden sind. Die Bundesagentur für Sprunginnovationen, die tatsächlich so heißt, hat Thermondo mit einem Gutachten über die eigenen Arbeitsmethoden beauftragt. Thermondo hat 35 separate Arbeitsetappen festgelegt, vom ersten Kundenkontakt bis zur Inbetriebnahme. Bei jedem Schritt wurde erprobt, ob er sich ohne Qualitätsverlust beschleunigen ließe und ob dafür wirklich eine Fachkraft notwendig sei. Was können andere Gewerke übernehmen? Welche Voreinstellungen können in der sauberen Fabrikhalle des Wärmepumpenherstellers besser vorgenommen werden als vom Handwerker in einem matschigen Vorgarten?
Mit einem Vorhaben aber stößt Thermondo in der Handwerksszene auf Unverständnis. Um richtig Tempo zu machen beim Wärmepumpenhochlauf will die Firma Quereinsteiger auf breiter Front einsetzen. Montagehelfer sollen künftig in einer Art Bootcamp wenige Wochen geschult werden. Sie sollen sich auf ein paar einfache Handgriffe spezialisieren und so die Fachkräfte auf den Baustellen entlasten. Elektriker und Heizungsinstallateure könnten dann zwischen vielen Baustellen springen und nur jene Arbeitsschritte vornehmen, für die ihre Qualifikation zwingend erforderlich ist. Pro Monat könnte ein Monteur so bis zu acht Wärmepumpen in Betrieb nehmen, rechnet Thermondo vor.
Dagegen laufen die Verbände Sturm. Sie fürchten, die traditionelle Ausbildung könne entwertet werden. Es geht dabei nicht nur um Besitzstandswahrung: Der klassische Azubi-Lehrplan hat in den vergangenen Jahren zwar viel Spott auf sich gezogen, weil darin für die Zukunftstechnologie Wärmepumpe gerade einmal acht Stunden vorgesehen waren. Doch das ändert sich gerade. »Es geht auch um Nachhaltigkeit und nicht nur darum, schnell zu wachsen«, sagt Andreas Koch-Martin, Chef der SHK-Innung Berlin. Die duale Ausbildung habe sich bewährt.
Die hohe Qualifikation ist einer der Gründe, warum Handwerker in Deutschland teils ähnlich hohe Lebenseinkommen erzielen wie Akademiker. Die schnelle Installation neuer Heizungen ist im Interesse des Landes. Die Sicherung auskömmlicher Arbeitsplätze aber ebenso. Doch was wird aus den schnell geschulten Helfern, wenn der große Wärmepumpen-Run vorbei ist?

Die Antwort der Handwerker

Die Frage ist, ob sich das Handwerk auch aus sich heraus erneuern kann: ohne Verlust seiner traditionellen Stärken, der regionalen Verankerung beispielsweise, des mittelständischen Charakters. Andreas Dörflinger jedenfalls kämpft jeden Tag dafür. Der Betrieb des Elektrikers liegt in Kelkheim. Das ist Frankfurter Umland, mit dem Lieferwagen schaffen es Dörflingers Monteure in 20 Minuten in die Innenstadt zwischen die Bankentürme. Dörflinger ist jetzt 61 Jahre alt. In dem Alter wechseln viele seiner Kollegen in den Ruhestand. Er hingegen hat noch einmal angefangen, seine Firma fit für die Zukunft zu machen.
Dörflinger hat sich einen Namen gemacht mit Smarthome-Ausstattungen. Die Nachfrage ist hoch in der Gegend. Dörflinger hat schon Anwesen von Bankvorständen mit Sensoren, Kameras und Hauscomputern für eine halbe Million Euro pro Haus ausgestattet. Die Arbeit hat ihm einen Widerspruch vor Augen geführt: »Wir Elektriker schaffen bei unseren Kunden jeden Tag moderne Infrastruktur, schreiben unsere eigenen Angebote aber immer noch mit Hammer und Meißel.« Er hat deshalb eine eigene Software entwickelt, um die Abläufe in seinem Betrieb effizienter zu machen. Anfangs waren das eher digitale To-do-Listen. Als »Checklisten-Dörflinger« haben ihn manche Konkurrenten deshalb erst belächelt. Dann kauften sie seine Expertise ein.
Dörflingers Lieblingsbegriff lautet »runder Prozess«. Was er damit meint, erklärt sich am einprägsamsten dort, wo es nicht rundläuft. Auch in seinem eigenen Betrieb. Die Frau vom Kundentelefon hat ihm aufgeschrieben, er möge bitte »den Klaus zurückrufen«. »Ich kenne 20 Klaus«, sagt Dörflinger ratlos.
Auch mangelnde Kundenorientierung ist ein Problem: Neulich hat er einen Mitarbeiter ertappt, der einen Auftraggeber im Handy als »Arschloch« abgespeichert hatte. Dörflinger hat einen wandhohen Spiegel in der Kaffeeküche seines Betriebs aufgehängt. »So gehst du zu unserem Kunden«, steht daneben. Manche Monteure, seufzt er, erkenne man leider am Geruch.
Er kennt Kollegen, die verbauen seit Jahrzehnten veraltete Komponenten, weil sie die Artikelnummern aus früheren Aufträgen kopieren. Kann man einen Elektriker dazu bringen, ein neues Lichtschaltermodell zu benutzen? Mit den gleichen Erfolgsaussichten könne man auch »versuchen, in Lindau an Bord der ›Aida‹ zu gehen«, sagt Dörflinger. Mit der »Aida« meint er den Kreuzfahrtriesen, Lindau liegt am Bodensee.
Seine Sprüche klingen resignierter, als er ist. Er hat im Alleingang einen Konfigurator entwickelt, mit dem sich Installationen in Neu- und Altbauten am Computer planen lassen. Das Programm ist selbst für Laien leicht zu bedienen. Den Kunden spuckt die Software binnen wenigen Minuten eine Kostenschätzung aus, den Handwerkern Planungsunterlagen und den Materialbedarf. Zwei Mausklicks, dann rechnet das Programm aus, was die Verwendung einer anderen Komponente kosten würde, auch eines anderen Licht­schaltersystems. Alternativ müssten die Elektriker die Kataloge der Hersteller wälzen. »Dat Ding spart 70 Prozent der Arbeit«, sagt ­Dörflinger.
Auf Messen sagen ihm die Skeptiker seiner Zunft immer wieder ins Gesicht, sie würden »den Käse« trotzdem nicht benötigen. Dörf­linger weiß, dass sie aus ihrer Sicht nicht einmal unrecht haben. Die Auftragsbücher sind seit Jahren gut gefüllt. Durch die chronische Hochkonjunktur in der Branche sei der »Druck zu Produktivitätssteigerungen äußerst gering«, hat das Institut für Mittelstand und Handwerk der Universität Göttingen festgestellt. Es ist ein Dilemma: Die Gesellschaft braucht ein modernes Handwerk, aber der ökonomische Veränderungsdruck auf viele kleine Betriebe ist gering.

Mensch und Maschine

Dass sich trotzdem etwas bewegen muss, wenn das traditionelle Handwerk eine Zukunft auch in schlechteren Zeiten haben soll, ahnt man im Zentralverband der Elektriker. Seine Mitgliedsfirmen, so die Befürchtung, könnten von den Start-ups überlaufen werden, ohne es recht zu merken. Den Handwerksbetrieben vor Ort bliebe dann nur noch die Rolle als Subunternehmer, als abhängiger Handlanger. »Plattform-Feudalismus« haben sie dieses Szenario im Verband genannt. Verhindern soll das: Andreas Dörflinger.
Der Elektrikerverband hat ihn zum Bundesbeauftragten für Digitalisierung ernannt und als einen von zwei Geschäftsführern eines eigens gegründeten Start-ups für Softwareentwicklung eingesetzt. Alle zwei Wochen steigt Dörflinger in Frankfurt in den ICE nach München. Dort hat die Mixed Data Agency ihren Sitz, in der Nähe des Olympiaparks, zwischen einem Taekwondostudio und einer Tiefgarage. Der Blick aus dem Fenster ist so trist, dass jemand eine riesige Leinwand mit Alpenpanorama davorgehängt hat.
Gemeinsam mit Programmierern und Entwicklern baut Dörflinger dort Software und Plattformen für den Verband, etwa einen digitalen Wallbox-Planer. Einige Elektriker haben ihn bereits auf ihrer eigenen Website eingebunden. Die Kunden laden Fotos von ihrer Garage oder dem Stellplatz hoch und bekommen in wenigen Schritten ein Angebot. Der Elektriker muss nicht selbst für einen Kostenvoranschlag rausfahren – zumal viele ohnehin erst mal nur eine unverbindliche Schätzung wollen.
Auch der Hauskonfigurator, den Dörflinger aufgebaut hat, wird hier weiterentwickelt. Das ist schon schwieriger. Das Programm muss mit umfangreichen Produktdatenbanken verknüpft werden. Wie hoch liegen die aktuellen Preise? Und wer kann die Ware liefern? Die Elektriker haben in mühsamen Verhandlungen rund 130 Hersteller dazu gebracht, Angaben zu 830.000 Bauteilen freizugeben für die Einspeisung in ihre Plattform Elektro1. Ein paar schicken die Daten in modernen Dateiformaten, viele aber veraltete Excel-Tabellen.
Dörflinger hat längst weitere Ideen, was sich noch optimieren ließe. Gemeinsam mit seinem Co-Geschäftsführer denkt er darüber nach, wie sich Livedaten über das Wetter oder die Staulage nutzen ließen. Die Monteure könnten ihre Routen dann so planen, dass sie möglichst wenig Zeit auf der Straße verbringen und Außenarbeiten nicht abbrechen müssen, weil es regnet. Aber die Gespräche mit der Verbandsspitze dazu laufen mitunter zäh. »Ich renn freudestrahlend rein zum Vorstand und komm mit ’ner Depression wieder raus«, sagt Dörflinger. Er hat nicht das Gefühl, dass in seiner Branche alle verstanden haben, was auf dem Spiel steht.
Man kann sich Dörflinger vorstellen wie eine Lokomotive, die in der Mitte eines Zuges eingesetzt wurde. Nach vorn versucht er, den Verband in Bewegung zu halten. Hinten muss er aufpassen, die Mitarbeiter in seinem ­eigenen Betrieb in Kelkheim nicht abzuhängen. Dort haben gerade zwei seiner besten Leute gekündigt, wegen des neuen IT-Systems. Aber geht es wirklich um die Qualität des Programms?
Das System sollte die internen Abläufe noch mal verbessern. Es hat 150.000 Euro gekostet. Dörflinger hat seine 30 verbliebenen Mitarbeiter befragt. Das Ergebnis hat ihn zerknirscht. Die Kollegen hätten Veränderungsstress. Immer neue Anforderungen und Spezialgebiete seien auch belastend. »Die Komplexität wächst ihnen über den Kopf«, sagt er. Die IT-Umstellung war dann eine zu viel.
Das Verhältnis von Mensch und Maschine ist dann doch komplizierter, als er gehofft hatte. Am Ende, das weiß auch Dörflinger, braucht es bei aller Optimierung Menschen, die Kabel ziehen und Lichtschalter montieren.

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