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Um staatliche und EU-Fördergelder zu erhalten, wurde auf der Schwäbischen Alb ein Wasserstoff-Elektrolyseur mit Tankstelle errichtet, Abnehmer sollten Lkw und der zu errichtende Industriepark Aspen sein. Weil sich keine Investoren für Aspen finden, wird auf Lkw mit Wasserstoffantrieb gesetzt, die Experten als 'nicht lebensfähig' bezeichnen. Der Artikel erläutert, wie politische und lobbyistische Einflussnahme ein Projekt durchsetzten, dem Nutzen, Wirtschaftlichkeit und Physik widersprechen.

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Bei Anruf Aspen

Prolog.

Es war einmal. So beginnen Märchen und unglaubliche Geschichten wie die eines großen Apparats in Schwäbisch Gmünd, der eine Menge Energie verbraucht, um damit viel weniger Energie herzustellen. Das Märchen heißt: „Der Elektrolyseur“. Oben auf dem Gügling wird er gerade gebaut, Ende des Jahres soll er Wasserstoff – kurz: H2 – produzieren. Alle warten sehnsüchtig darauf. Zum Beispiel die Industriebetriebe im nahegelegenen Technologiepark Aspen, die es auf der grünen Wiese noch gar nicht gibt. Oder die anderen fehlenden Abnehmer. Die Trucker, die den Wasserstoff in ihre nicht vorhandenen Wasserstoff-Trucks tanken. Und dann warten Politiker nebst Lobbyisten auf den Wasserstoff, um endlich „von Power Point zur Umsetzung zu kommen“, wie es bei einer Veranstaltung in der Hammerschmiede Königsbronn oft wiederholt wird. Im Saal und auf der Bühne versammeln sich die HyExperts, also die Experten für Hydrogen, das englische Wort für Wasserstoff. Von Land und EU haben sie viel Fördergeld bekommen. Dafür wurde viel versprochen. Jetzt wollen sie noch mehr Geld für noch mehr Versprechen.

Diese Veranstaltung ist das vorläufige Ende einer Geschichte vieler Fragen: Was haben all die Bemühungen seither gebracht? Was wurde mit dem Steuergeld erreicht? Was wurde und wird aus dem Ziel, dass auf dem Gügling in den kommenden zehn Jahren 2000 bis 3000 Arbeitsplätze entstehen? Wie geht es nun weiter? Wie viel Geld wird noch gebraucht? Den Antworten darauf kann man sich nur annähern bei den Veranstaltungen, die das Experten-Netzwerk in Schwäbisch Gmünd, Heidenheim, Königsbronn und Ellwangen organisiert. Wer diese Zusammenkünfte besucht, bekommt einen Eindruck von Wünschen, Träumen, Zielen: Schwäbisch Gmünd setzt auf Elektrolyse ohne überschüssigen Ökostrom, Wasserstoff-Wärme in Häusern, die Region forciert vor allem die Wasserstoffmobilität. Bundesweit sind solche Projekte bereits an der Physik, ihrem Nutzen, oder der Wirtschaftlichkeit gescheitert. Steuergeld wurde verbrannt. Nun versucht sich Ostwürttemberg daran. Warum? Es gibt Geld vom Bundesverkehrsministerium. Demnächst wollen die HyExperts einen Antrag stellen und HyPerformer werden, also Wasserstoff-Ablieferer. Falls der genehmigt wird, fließen weitere 15 Millionen Euro in die Region. Ein Teil davon nach Schwäbisch Gmünd. Warum gerade die Stauferstadt dabei mitmacht? Eine Spurensuche in drei Akten.

1. Akt. Büro von Prof. Dr. Markus Hölzle, Chef des ZSW (Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg) in Ulm.

Hölzle gilt als Kopf hinter dem Wasserstoffprojekt, an dem sich die Landkreise Reutlingen, Alb-Donau, die Stadt Ulm und Schwäbisch Gmünd beteiligen. „Hier habe ich den Antrag geschrieben“, erzählt er und zeigt hinter sich. Schnelligkeit zähle bei solchen Förderanträgen, es gebe mittlerweile einen Wettbewerb unter Forschern, „weil alle aufwachen und eine Förderung abgreifen wollen“. Es geht ja auch um eine Menge Geld. Rund 33 Millionen Euro Steuergeld stellen das Land und die EU für etwas mit Wasserstoff bereit. Es kann alles sein, selbst ein aus ökologischen und geographischen Gründen unwirtschaftliches Projekt kann gefördert werden, man muss es nur gut genug formulieren. Damit hat Hölzle Erfahrung, wie er sagt: „Geldgeber überzeugen, das können wir. Denn wir sind keine Schaumschläger, hier wird abgeliefert.“ Am besten so, wie es das Land Baden-Württemberg möchte, schließlich wurde das ZSW 1988 vom Land zusammen mit Universitäten, Forschungseinrichtungen und Unternehmen gegründet. Die Hälfte der Aufträge bekommt das Zentrum vom Land selbst. Manchmal führt das zu komischen Situationen. Während die Bundesregierung in der Nationalen Wasserstoffstrategie Deutschland einen weit geringeren Wasserstoffbedarf attestiert und damit Recherchen [des Mediums] bestätigt, kommt das ZSW zum Schluss, dass Baden-Württemberg mehr benötigt als gedacht. Viel mehr. Landesumweltministerin Thekla Walker lobt den Landesbetrieb für die gute Arbeit, die die Forscher mit dem Geld vom Land abgeliefert haben. Andersrum wäre ja auch ungünstig. Doch zurück zum Förderantrag.

Hölzle schreibt die Akteure und ihre Pläne zusammen. Irgendwann mittendrin stellt der Wissenschaftler fest: „Wir hatten Probleme, den Antrag mit sinnvollen Projekten zu füllen“, es sind zu wenige für die Fördersumme von 33 Millionen Euro. Das ist ein Problem. Steuergeld muss verplant werden, bei Förderungen gilt das Prinzip „alles, oder nichts“. Die Suche nach weiteren Partnern beginnt. Da kommt Schwäbisch Gmünd ins Spiel. Hölzle erzählt die Geschichte so: „Es hieß, Ulms Oberbürgermeister Gunter Czisch [CDU] und Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold [auch CDU] hätten telefoniert.“ Der ZSW-Chef erfährt über Ulms Stadtverwaltung vom Gmünder Elektrolyseur und seiner Leistung. Zehn Megawatt. Ein großes Ding. Viel mehr als die anderen Projekte vorzuweisen haben und deshalb interessant, „um nach oben hin was zu bekommen“. Wer wen auf die Idee mit dem Elektrolyseur nebst Technologiepark Aspen gebracht hat, weiß Hölzle so nicht mehr. Jedenfalls macht er sich ans Werk und seine Arbeit richtig. Der Förderantrag wird genehmigt. Das Unternehmen namens H2Wandel kann beginnen. Seither versuchen es Politiker mit vagen Hoffnungen und teuren Thesen schönzureden.

H2Wandel nennt das „Information der Öffentlichkeit“, die durch eine „aussagekräftige Marketingkampagne“ und „gezielte Social Media-Auftritte“ überzeugt werden soll. Klimaneutraler Wasserstoff im Verkehr, in Heizungen, produziert vor der Haustüre in Schwäbisch Gmünd klingt ja auch verlockend. Tatsächlich haben diese Ideen eine theoretische Daseinsberechtigung, praktisch allerdings kostspielige Folgen und Komplikationen. Man kann es am Gmünder Projekt gut erklären. Hier sollen 52 Hektar Ackerfläche zum Wasserstoff-Technologiepark Aspen umgewandelt werden, versorgt von einem Elektrolyseur, der ab November angeblich täglich 3,8 Tonnen Wasserstoff produziert. Gebaut wird er von der französischen Firma Lhyfe. Diese steckt nach eigenen Angaben mehr als 20 Millionen Euro in den Bau des Apparats, 6,4 Millionen Euro davon sind Steuergeld. Nebenan finanzieren Steuerzahler eine komplette Tankstelle. Problem Nummer eins: Für Aspen interessiert sich niemand. Investoren fehlen. Problem Nummer zwei: Ohne Ankerkunden aus der Industrie muss man trotzdem täglich tonnenweise Wasserstoff loswerden. Wenigstens gibt es eine Tankstelle. Problem Nummer drei: Es gibt keine Fahrzeuge, die hier tanken könnten. Und nun? Scheitert das Gmünder „Demonstrationsprojekt zur Umsetzung einer regionalen Wertschöpfungskette im Bereich der Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie auf Basis Erneuerbarer Energien“ an sich selbst? Steuergeldseidank gibt es eine Lösung.

Mit Geld lassen sich Wasserstoff-Fahrzeuge kaufen, denn wenn die geplanten Tankstellen in Schwäbisch Gmünd und Giengen „keine LKW sehen, sind die arbeitslos“, befürchtet Dirk Schmidt von der Ellwanger Beraterfirma Eura AG bei der Abschlussveranstaltung in Königsbronn. Seine Lösung ist einfach: „Vielleicht gibt es eine Möglichkeit, dass über eine Landesförderung wenigstens 20 LKW in der Region sind?“ Obwohl es also nicht einmal für zwei geplante Tankstellen genug Laster gibt, denkt er offen an zwei weitere Zapfsäulen, die man dank Steuergeld in Aalen und Ellwangen kostenlos bauen kann. Alle vier zusammen reichen dann für 161 Laster, rechnet der Berater, der ebenfalls eine wichtige Rolle im H2-Märchen der Region spielt, hat er doch im Auftrag des Landkreises für 400.000 Euro den Wasserstoff-Bedarf Ostwürttembergs in die Höhe überschlagen. Das Ergebnis ist alles andere als plausibel, wird aber immer wieder in Entscheidungsvorlagen von Verwaltungen aufgeführt.

Nach Schmidts Schätzung braucht die Region ab 2030 rund 215.000 Tonnen Wasserstoff. Eine riesige Menge. Verglichen mit der Nationalen Wasserstoffstrategie des Bundes sind das zwischen sieben und neun Prozent des deutschlandweiten Gesamtbedarfs – und das in einer Region mit einem bundesweiten Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter von rund 0,5 Prozent. Wie er zu diesem Ergebnis kommt, beantwortet er in Königsbronn: „Die Unternehmen hier sind gut informiert und konnten deshalb höhere Bedarfe melden“, der Rest ist eine Überschlagsrechnung. Vielleicht liegt es aber schlicht an der Fragestellung: Wenn Energie billig wäre, wie viel würde man dann nehmen? Antworten auf solche Fragen verzerren die Realität. Schmidt muss es deshalb selbst im Konjunktiv formulieren: „Wenn Wasserstoff unter bestimmten Voraussetzungen [günstiger Preis, Anm. d. Red.] vorhanden wäre, dann würde dieser Bedarf [215.000 Tonnen] entsprechend wahr sein.“ Warum Wasserstoff aus Deutschland allerdings nie günstig ist, lässt sich mit einem kurzen Ausflug in die Physik erklären.

H2 entsteht aus Elektrolyse. Vereinfacht gesagt, zerlegt man mit Strom Wasser (H2O) in seine Bestandteile Wasserstoff (H2) und Sauerstoff (O). Weil es praktisch aber etwas schwieriger ist, braucht es dazu eine ganze Menge Energie. Und enorm viel Wasser. Um die rund vier Tonnen Wasserstoff in Gmünd zu produzieren, sind rechnerisch 36.000 Liter H2O nötig. Weil das Wasser jedoch vorher gereinigt werden muss, sind es etwa 50.000 Liter Frischwasser pro Tag. Dann noch der Strom, bestenfalls Ökostrom, damit man von grünem, also klimaneutralem Wasserstoff sprechen kann. Ungünstig ist, dass man viel Energie verbrennt, bevor man den Wasserstoff irgendwo verbrennen kann. Auch das kann man wieder ganz einfach darstellen: Von der Energiemenge, die man vorne in den Elektrolyseur steckt, kommen an der Tankstelle nur rund 25 Prozent an. Das macht Wasserstoff teuer. Es will somit gut überlegt sein, wo er produziert und eingesetzt wird. In Küstennähe beispielsweise, wo überschüssiger Windstrom umgewandelt und als Wasserstoff gespeichert werden kann. Man kann ihn dann in Gaskraftwerken verbrennen, Strom erzeugen, um das Netz an schwachen Wind- und Sonnentagen stabil zu halten. Auch die Industrie braucht H2. Etwa für die Düngemittel-, Stahl- und Zementproduktion, bei der Schifffahrt und auf Langstreckenflügen gilt H2 bei Wissenschaftlern und Ökonomen als alternativlos oder zumindest wirtschaftlich, um das bundesdeutsche Ziel von Klimaneutralität bis 2045 zu erreichen. Wasserstoff auf der Straße sehen Fachleute hingegen kritisch. Genau darauf aber setzt die Region. Auf Laster. Sie werden bald sehr lästig sein.

2. Akt, Gespräch mit Gunter Czisch, Oberbürgermeister der Stadt Ulm.

Czisch spielt eine Rolle bei der Frage, wie Gmünd zum Elektrolyseur kam. Er und Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold kennen sich „ganz gut“, erzählt der scheidende Rathauschef. Man tauscht sich auf Oberbürgermeister-Ebene aus, so finde man unter Kollegen Mitstreiter. Arnold und er „haben telefoniert“. Die beiden hätten sich erzählt, „was gerade so passiert“. Bei einem dieser Gespräche erfährt der Ulmer, dass der Gmünder ein neues Gebiet namens Aspen entwickelt. Ob Czisch die Idee für den Gmünder Elektrolyseur entwickelt hatte? „So weit möchte ich jetzt nicht gehen“, meint er und berichtet, wie es grundsätzlich läuft. „Der erste Aufschlag ist immer politisch: Hast Du Interesse an so was?“, fragt man auf der Chef-Ebene. Wenn ja, gehe es auf der Arbeitsebene weiter. Die ist gerade emsig dabei, Antworten auf Fragen zu finden, die Czisch umtreiben: „Was braucht man ganz konkret, dass Busse und LKW gekauft werden?“ Die Antwort: vor allem viel Geld.

Ist auch logisch. Wie bei allem in der Wasserstoff-Wirtschaft. „Ein Elektrolyseur ist nicht wirtschaftlich, deshalb braucht es Unterstützung des Staats“, sagt Czisch. Man müsse etwas tun, um zu zeigen, wie es mit Wasserstoff funktioniert, „was es heißt, wenn wir Brennstoffzellen-Busse in Betrieb setzen“. Selbst ohne Testbetrieb kann das beantwortet werden, indem man auf Erfahrungswerte anderer Wasserstoff-Pioniere baut. Wiesbaden zum Beispiel gibt 2020 sechs Millionen Euro für zehn Brennstoffzellen-Busse und zwei Millionen für eine Tankstelle aus. Nach nur einem Jahr fährt das Projekt gegen die Wand. Unter anderem wegen „einer überplanmäßigen Kostensteigerung bei der Beschaffung von Wasserstoff“, heißt es beim Bund der Steuerzahler, der diesen Fall im Schwarzbuch aufführt. Die Alternative: Für die rund acht Millionen Euro hätten 14 Elektrobusse angeschafft werden können. Czisch dagegen sagt, man müsse vorangehen „und bereit sein, Lehrgeld zu bezahlen. Das ist die Aufgabe der öffentlichen Hand“. Wenn Wunsch und Wirklichkeit so weit auseinanderliegen, was wird dann aus dem Gebot der Wirtschaftlich- und Sparsamkeit? Beides soll Maßstab aller staatlichen Entscheidungen sein. Wenn man es sehenden Auges ignoriert, werden Bürgerinnen und Bürger dieses Lehrgeld bezahlen. In Form von Müllgebühren. Die könnten im Ostalbkreis deshalb steigen.

Was hat Wasserstoff mit Müll zu tun? Eigentlich nichts. Dennoch versucht man, beides zu verbinden. „Man sollte mit der GOA sprechen, inwieweit die Nutzung von Wasserstoff in Abfallentsorgungsfahrzeugen möglich ist. Denn für die laufenden Betriebskosten wird es ein Zugewinn sein“, empfiehlt und behauptet Berater Dirk Schmidt von der Eura AG. Mit Zugewinn kann er nur die dringend notwendige Tankstellen-Auslastung meinen, denn die Betriebskosten sind alles andere als günstig. Schmidt belegt das selbst in einer Wasserstoff-Studie für einen anderen Landkreis. Dort vergleicht er die Kraftstoffkosten pro Kilometer von Diesel- und Wasserstoff-Abfallfahrzeugen. Elektro-Fahrzeuge werden gar nicht aufgeführt, obwohl es solche bereits gibt. Schmidt rechnet mit zehn Euro je Kilogramm Wasserstoff – aktuell liegt der Preis bei 15,75 Euro an der Tankstelle – und 1,10 Euro pro Liter Diesel. Sein Ergebnis:

Wasserstoff-Müllauto: 0,60 Euro pro Kilometer
Diesel-Müllauto: 0,44 Euro pro Kilometer

Rechnet man die nötige Energiemenge um, lassen sich die Kosten mit einem batterieelektrischen
Fahrzeug vergleichen:

Elektro-Müllauto: 0,40 Euro je Kilometer bei einer Ladung des Fahrzeugs mit Industriestrompreis von 21 Cent je Kilowattstunde

Gerade beim Wasserstoff zeigt sich, dass politischer Wille und unternehmerisches Denken zwei verschiedene Angelegenheiten sind. Schmidts Wasserstoff-Müllautos wird es im Ostalbkreis absehbar nicht geben. Sagt die GOA. „Wir haben nicht vor, umzustellen. Wir wurden auch nicht gefragt, ob wir Wasserstoff brauchen“, sagt Siegfried Gstöttner, Chef des Entsorgungsunternehmens. Ein Müllauto, das mit Wasserstoff fährt, passe gar nicht in seine Kalkulation. Leerungsrhythmen, Touren und andere Posten zählt er auf – all das sei mit Dieselfahrzeugen gerechnet. Wasserstoff sei viel teurer und nicht darstellbar. Elektro-Müllfahrzeuge seien allerdings auch keine Alternative, so der GOA-Chef: Müll werde in Tonnen abgerechnet, je mehr auf einmal transportiert wird, desto besser. Wenn die Batterie zu viel wiege, weil mehr Reichweite nötig sei, fehle wieder Zuladung. Und wo können 15 Laster gleichzeitig geladen werden? Fest steht jedenfalls: Falls Politik, Berater und Lobby Wasserstoff in Müllautos durchsetzen, steigen Müllgebühren. Kraftstoffkosten fließen nämlich in die Kalkulation ein.

Während H2-Laster in der Region angepriesen und angeschafft werden sollen, setzt zum Beispiel der Truck-Hersteller MAN zukünftig auf Batterietechnik. „Wasserstoff ist nicht lebensfähig. Es ist eine Sache, die Technologie zu haben, und eine andere, dass Technologie lebensfähig ist“, sagt Alexander Vlaskamp, CEO von MAN Truck & Bus. Selbst wenn man grünen Wasserstoff hätte, „wird er für die Schwerindustrie aus Stahl, Zement oder Kunststoff benötigt“, zitiert das Branchenmagazin [anderes Medium] den Manager. Darüber hinaus sei H2 nicht gerade günstig. „Ich habe nie einen Wasserstoff-LKW gesehen, der wirtschaftlich gefahren ist“, sagt auch Arno Brucker, Chef der Aalener Spedition Brucker, die im Gmünder Industriegebiet Gügling ein Logistikzentrum baut. Obwohl er Wasserstoff im Transportwesen für den richtigen Weg halte, gebe es am Markt „kein wie auch immer geartetes Fahrzeug, das ich einsetzen könnte“, sagt er. Truck-Hersteller hätten erkannt, dass es viel zu teuer und verlustreich ist, sie beschäftigten sich lieber mit Batterieantrieben. So einen Elektro-Laster hat der Aalener Spediteur schon. Täglich ist das Fahrzeug bis zu 260 Kilometer auf der Straße, unterwegs wird einmal kurz geladen. „Das funktioniert erstaunlich gut“, sagt der Firmenchef. Wenn das Logistikzentrum vom Gügling spätestens Ende März im Vollbetrieb laufe, werde man sehen, ob dort ebenfalls E-Laster eingesetzt werden können. Wer soll dann den Wasserstoff tanken?

„Keine Ahnung“, sagt Stephan Häberle, Geschäftsführer der Gmünder Spedition Häberle. Seit jeher beschäftigt er sich mit alternativen Antrieben. Raps hat er eingesetzt, aus Fetten hergestellten, so genannten Care-Diesel, nun stehen auf dem Hof zwei Elektro-Laster. Einer davon ist ein 40-Tonner, „der fährt Touren ums Haus rum“, sagt er. Das rechnet sich sogar, weil batterieelektrische Laster von der Maut befreit sind. Unterm Strich sei das nicht teurer als ein Verbrenner. Denkt Häberle nun über ein wasserstoffbetriebenes Pendant nach, weil es politisch immer wieder angepriesen wird? „Bis jetzt nicht.“ Zu viele Fragen seien offen. Besonders die Preisfrage. „Ich mache viel mit. Es muss sich aber wirtschaftlich rentieren.“ Immer wieder besucht er deshalb die Wasserstoff-Veranstaltungen in Gmünd, informiert sich – etwas konkret Verwertbares sei jedoch nie dabei gewesen. Obwohl der Elektrolyseur unweit der Häberle-Lagerhalle auf dem Gügling entsteht und der direkte Anschluss ans Wasserstoff-Netz wohl ein Leichtes wäre, ist das für ihn uninteressant. „Wasserstoff brauche ich nicht. Strom ist für uns relevanter.“

Was für die einen Steuergeldverschwendung ist, nennen Politiker und Lobbyisten Anschubfinanzierung für „diese neuartige Technologie“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler in Königsbronn bei der abschließenden Podiumsdiskussion, die gar keine ist, weil man gar nicht diskutieren braucht, wenn alle einer Meinung sind. Im Publikum schüttelt eine Frau den Kopf. „Das ist doch gar nicht neu“, murmelt sie. Zurecht. In der Tat wird schon sehr lange versucht, Wasserstoff in die Breite zu bringen. Zahlreiche Projekte werden in den vergangenen Jahrzehnten gefördert und gestoppt. Immer wieder beginnt es aufs Neue. Weil es eine starke Mineraöl- und Automobilbranche gibt, die ihr Geschäftsmodell behalten und wenig transformieren will. Es ist nachvollziehbar. Am Wunsch, dass Wasserstoff irgendwie funktioniert, hängen Arbeitsplätze und Wohlstand. Konrad Grimm von der Maschinenfabrik Alfing geht in Königsbronn offen damit um, dass die Transformation vom Verbrenner zu Elektromotoren folgenreich ist: „Die Alternative zu Wasserstoff: Motoren, in denen keine Kurbelwelle ist“, sagt der Geschäftsführer des Wasseralfinger Unternehmens, das nach eigenen Angaben der „weltweit größte Hersteller von Großkurbelwellen und ein langjährig gefragter Partner im Bereich Automotive“ ist.

3. und letzter Akt. Gespräch mit Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold im Congress-Centrum Stadtgarten nach einer weiteren Wasserstoff-Veranstaltung.

Es fehlt an Firmen, die sich auf das H2-Abenteuer einlassen. Wieso sollten sie bei einem Projekt mitmachen, dessen Ziel es ist, die Erzeugung und Nutzung von Wasserstoff in der Praxis zu zeigen? Beides ist hinreichend erforscht und bekannt, eine praktische Vorführung erübrigt sich. Gmünds Oberbürgermeister Richard Arnold hingegen sagt, es liege an den Rahmenbedingungen, sie seien „nicht die besten für Investitionen von außen. Das ist im Moment eine schwierige Kiste“. Ehrlicherweise ist es seit Beginn der Idee Aspen im Jahr 2020 schon schwierig. Damals prognostiziert Arnold 2000 bis 3000 Arbeitsplätze in den folgenden zehn Jahren. Heute, vier Jahre später, zieht die Realität eine unbarmherzige Bilanz: Für 6,4 Millionen Euro Steuergeld entstehen bis Ende dieses Jahres drei bis vier Jobs, die sich um den Elektrolyseur kümmern. Fehlen noch 2996 zum Ziel. Gleichzeitig häufen sich sekundäre Probleme: Windräder und PV-Anlagen müssen gebaut werden, damit der Elektrolyseur genug Strom bekommt, es braucht kilometerlange Leitungen, die heutigen Erdgasleitungen müssen saniert werden, damit dort überhaupt Wasserstoff transportiert werden kann. Diese Folgekosten liegen weit jenseits von 100 Millionen Euro. Alles scheinbar im Preis inbegriffen.

Es gibt Häppchen, Wein und die Geschichte, wie Gmünd zum Elektrolyseur kam. „Wir haben mit Zulieferern Gespräche geführt“, erzählt Oberbürgermeister Arnold. Die Firma Magna sei bei der Umstellung von Kraft- auf Wasserstoff „ganz vorne mit dabei“ gewesen, Siemens habe Wasserstoff-Züge angekündigt, die Wirtschaft über den Einsatz in LKW diskutiert. „Ich habe dann den Kollegen Czisch in Ulm kontaktiert“, so Arnold. Man gründete ein Netzwerk. Und wer kam auf den Elektrolyseur? „Das Netzwerk. Ich würde es nicht für mich alleine in Anspruch nehmen wollen“, sagt das Stadtoberhaupt und begrüßt kurze Zeit später einen Mann, der sich an den Tisch gesellt. Es ist Dr. Stefan Wolf, ehemals Vorstandsvorsitzender der ElringKlinger AG, einem Automobilzulieferer aus Dettingen. Seit 2020 ist er Präsident des Gesamtverbands der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie in Berlin. Heute ist er in Gmünd, weil nebenan das Kolpingmusical Titanic geprobt wird. Wolfs Mann Kevin Tarte singt die Rolle des Schiffskonstrukteurs Thomas Andrews. Arnold und Wolf kennen sich, Arnold duzt ihn. „Ich bin da jetzt reingeplatzt, Entschuldigung“, sagt Wolf und beteiligt sich am Gespräch. Schon früh sei ElringKlinger in die Themen Wasserstoff und Brennstoffzelle eingestiegen, „weil es in vielen Bereichen die absolute Zukunftstechnologie ist. Ein LKW wird nie elektrisch fahren, sondern immer mit Wasserstoff“, sagt er. Dass MAN-Chef Vlaskamp Wasserstoff für nicht lebensfähig hält, kommentiert er so: „Das glaube ich aber nicht“, und spricht von großen Batterie-Einheiten und langen Ladezeiten, die dagegen sprächen. „Wir haben im Übrigen auch nicht genug Strom für die Batterien“, ergänzt er. Aber anscheinend für Gmünds Elektrolyseur. Der verbraucht pro Tag etwa 220 Megawattstunden, um rund vier Tonnen H2 zu produzieren. Mit nur dieser Strommenge kann ein durchschnittlicher E-Lastwagen 4,6 mal um den Äquator fahren.

Epilog.

Firmenvertreter wissen genau, wie Klimaneutralität funktioniert. Markus Ammann etwa von der Firma Handtmann e-solutions zeigt bei der Veranstaltung in Schwäbisch Gmünd einen Stufenplan. Erster und wichtigster Punkt sind der Ausbau Erneuerbarer Energie sowie die Elektrifizierung von Prozessen. Zuletzt kommt der Wasserstoff, um überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenkraft aufzufangen. Schwäbisch Gmünd dagegen dreht das Prinzip herum: Erst Elektrolyseur, Wasserstoff, Tankstelle, Fahrzeuge, später Windräder, die den Elektrolyseur antreiben. Vielleicht ist in der Stauferstadt alles ein bisschen anders, weil man mutig sein möchte, oder schon zu sehr im Wasserstoff-Förderzirkus verhaftet ist. Noch ist Zeit, auszusteigen. Gmünd wäre nicht die erste Stadt, die die Reißleine zieht.

Hannover hat es getan. Obwohl das Projekt dort auch so schön klang. Man wollte die Sektorenkopplung demonstrieren, also mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Mit Betriebswasser aus dem Klärwerk in Herrenhausen sollte Wasserstoff produziert werden. Der übrig bleibende Sauerstoff hätte für weitere Klärprozesse verwendet werden können, die Abwärme war fürs Fernwärmenetz gedacht, der Wasserstoff für die Busse des kommunalen Verkehrsunternehmens. Das Land Niedersachsen förderte das auf 25 Millionen Euro veranschlagte Vorhaben mit rund 6,4 Millionen Euro. Dann summierten sich die Gesamtkosten auf 136 Millionen Euro. Hannover stieg aus, um finanziellen Schaden abzuwenden, muss jedoch trotzdem einige Millionen für Planungskosten bezahlen. War dieses Scheitern von vornherein klar? Das Rechnungsprüfungsamt und womöglich ein Wirtschaftsprüfer nehmen das in Hannover nun unter die Lupe. Doch zurück nach Gmünd.

Zehn Hersteller zeigen bei der jüngsten Veranstaltung im Leutze-Saal des Gmünder Stadtgartens Lösungen für Wasserstofferzeugung, Speicherung, Rückverstromung und Gebäudewärme. Es sind Fachvorträge für die Industrie, bis auf einen von der Firma Picea. Sie präsentiert mit einem Stromspeicher auf Basis von Wasserstoff und Solarenergie eine Lösung für Privatpersonen – was sie kostet, bleibt unerwähnt. Wer danach im Internet sucht, wird fündig: Es sind knapp 100.000, je nach Konfiguration bis zu 160.000 Euro. Das ist in etwa das Zehnfache einer Wärmepumpe, die auf Grund ihres Wirkungsgrads eine zentrale Rolle bei der städtischen Wärmeplanung spielen sollte. Wie viele Wärmepumpen mit 6,4 Millionen Euro gefördert werden könnten? Oder den 15 Millionen aus dem Bundesverkehrsministerium? Anstatt Einwohner bei der Frage zu unterstützen, welche Heizung wo zukunftsfähig ist, fußt das Gutachten zur zukünftigen Wärmeversorgung in Gmünd und den Teilorten auf einigen Unmöglichkeiten. Manches ist gar Utopie. Die Nahwärmeversorgung von Bettringen-Ost zum Beispiel. Dafür soll die Abwärme des Elektrolyseurs herhalten. Wenn niemand den Wasserstoff kauft, bleiben die Wohnzimmer dort kalt.

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