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Wie ich nicht reich wurde

Es ist vier Uhr an einem Samstagnachmittag im Spätherbst, und eben habe ich 90 Prozent meines Vermögens verloren. Vor mir liegt eine Fünfzigernote einsam auf dem Tisch, während sich meine anderen 450 Franken auf dem Haufen vor Judith* stapeln, einer alleinerziehenden Mutter Mitte vierzig, die nun 750 statt 300 Franken besitzt. Neben uns sitzt Ana*, eine sechzigjährige Geschäftsfrau aus Österreich; mit 300 Euro ist sie so arm oder reich wie vor dem Spiel. «Money Game» heisst es, erfunden in den 1970ern in einer Kommune in Schottland namens Findhorn Foundation.
Die Regeln sind einfach: Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer bringen einen Betrag mit, der für sie «bedeutungsvoll» ist, und legen ihn vor sich auf den Tisch. Dann werden drei Runden gespielt. In der ersten darf man schweigend Geld von anderen nehmen. In der zweiten darf man schweigend Geld an andere verteilen. In der dritten wird verhandelt, ob man nehmen oder geben darf. «Darf ich 100 Franken von dir nehmen?» hatte Judith mich gefragt, und ich hatte zugestimmt. «Darf ich 200 Franken von dir nehmen?» hatte Ana Judith gefragt, und sie schüttelte den Kopf. «Darf ich dir 50 Franken geben?» hatte ich zu Ana gesagt, und sie sagte Ja. Irgendwann war das Spiel zu Ende, und mein Geld war weg.
Das «Money Game» ist Teil eines Seminars, an dem sich alles ums Thema Geld dreht, aber nichts ums Thema Finanzen. Man lernt kein Budget zu erstellen, es gibt auch keine Anlagetipps. Bei dem zweitägigen «Geldseminar nach Peter Koenig» geht es darum, sein Innenleben zu erforschen. Was bedeutet Geld für mich? Woher kommen meine Glaubenssätze in Geldfragen? Und wie wirken sie sich auf mein Leben aus?
Ich wusste bereits vor dem Seminar, dass ich mich unklug verhalte, sobald es um meine Finanzen geht. Ich habe ein Talent zum Sparen, aber keines zum Reichwerden. Dabei waren meine Startbedingungen ideal. Mit 16 besass ich 32 000 Franken, verteilt auf zwei Jugendsparbüchlein der Zürcher Kantonalbank. Ich war ein so vermögender Teenager, weil meine Eltern und Grosseltern regelmässig für meinen Bruder und mich einzahlten. Ich habe nie etwas von diesen beiden Konten abgehoben, und heute, 35 Jahre später, liegen dort 51 530 Franken. Das ist ein schöner Betrag, über den ich mich freuen könnte. So lange jedenfalls, bis ich die farbigen Kurven sah, die die ZKB für mich ausgedruckt hatte. Dort stand nicht nur, was ich besitze, sondern auch, was ich besitzen könnte. Es war ein Moment der Reue. Warum aber habe ich mich nie um meine Finanzen gekümmert? Und warum verhalten sich so viele Frauen gleich, wie zahlreiche Studien belegen?
Als Vorbereitung auf das Seminar ordnete ich mein Leben nach «bedeutungsvollen» Summen. In meiner ersten Erinnerung sind es die Münzen, die ich als Taschengeld bekam, einen Franken pro Woche in der ersten Klasse, zwei Franken in der zweiten. Ich war ein sparsames Kind. Mein Taschengeld wanderte in eine blausilberne Schatzkiste, und wenn mir die Eltern einen Batzen extra für eine Glace gaben, kaufte ich oft keine. Ich zählte mein Geld gern und oft, wie ein kleiner Dagobert Duck. Es zu horten gab mir das wohlige Gefühl, all meine zukünftigen Wünsche erfüllen zu können. Die Discoroller etwa, die ich mir mit 12 von ganzem Herzen wünschte. Sie kosteten 99 Franken. Doch obwohl in meiner Schatzkiste mehr als 400 Franken lagen, blieb ich enthaltsam und kaufte sie mir nicht. Die Furcht, meine Quelle für zukünftige Wünsche könnte versiegen, war stärker als der Wunsch.

500 Franken für ein Kleid

Ich habe das Sparen von meinen Eltern gelernt. Sie besassen ein schlichtes Haus, das sie nach und nach selbst umbauten, fuhren stets Occasionsautos, und ihre einzige Schuld war eine Hypothek. Mein Vater arbeitete im Störungsdienst und später als Elektroniker-Lehrmeister bei der PTT, meine Mutter war Hausfrau. Über Geld sprachen wir nie. Wie viel mein Vater verdiente, weiss ich bis heute nicht. Wir hatten immer genug, aber manches fiel in die Kategorie «zu teuer»: Restaurantbesuche, Ferien im Hotel, Reitstunden oder die Markenjeans aus der «Boutique». Allerdings war das auch bei den meisten anderen Kindern in unserem Arbeiterdorf so. Niemand hier war reich, einzig die Familie des Arztes schien uns privilegiert. Die Tochter trug Levi’s, die Mutter nahm Privatstunden beim Tennislehrer; das war schon der Gipfel an Dekadenz.
Mit 17 waren 50 Rappen bedeutungsvoll. So viel kostete der Menusalat in der Kantine meines Arbeitgebers, bei dem ich die kaufmännische Lehre machte. Ertränkte man ihn in Sauce und nahm einen Stapel Brotscheiben dazu, reichte das als Mittagessen aus. Nach drei Lehrjahren hatte ich 8000 Franken angespart, kaufte ein Round-the-world-Flugticket und war ein Jahr lang unterwegs. Das Geld von meinem Sparbuch zu nehmen wäre mir nie in den Sinn gekommen.
Mit 25 waren 170 Franken wichtig, die Miete für mein WG-Zimmer. Ich lebte im Studium vor allem von Nebenjobs im Service und bei der Telefonauskunft; ich war auch mal das hellblaue Katzenmaskottchen einer Guetslifabrik. Ausserdem bekam ich jeden Monat ein paar Hundert Franken kantonale Stipendien als zinsloses Darlehen. Sobald ich meine erste Stelle im Journalismus hatte, zahlte ich es zurück.
Mit 35 waren 500 Franken ein Meilenstein. Ich arbeitete bei der Frauenzeitschrift «Annabelle», und zum Job gehörte es, «modisch gekleidet» an Abendanlässen aufzutauchen. Das ist in einem Modemagazin eine hohe Latte; es gab dort Praktikantinnen, die sich für Handtaschen verschuldeten, und Kolleginnen, die über Mittag Schuhe für 1000 Franken kauften. Für einen besonders wichtigen Anlass erstand ich ein zeitloses schwarzes Wickelkleid aus Rohseide für 500 Franken, die höchste Summe, die ich je für ein Kleidungsstück ausgegeben hatte. Dann sagte die Chefredaktorin, ich könne es leider nicht tragen. Sie selbst werde an diesem Abend in einem Wickelkleid erscheinen, nachtblau statt schwarz zwar, trotzdem: undenkbar, dass wir in einem ähnlichen Kleid auftauchten. Glücklicherweise überzeugte die stellvertretende Chefredaktorin sie, dann doch etwas anderes aus ihrem reichgefüllten Ankleidezimmer auszuwählen.
Und heute? Heute scheinen mir 7056 Franken viel Geld zu sein, der Maximalbeitrag für die dritte Säule. Doch ist dieser Betrag auch bedeutungsvoll? Und will ich tatsächlich mit sieben Tausendernoten in der Tasche mit Zug und Bus zu einem Seminar im Appenzellerland fahren? Schliesslich packe ich 500 Franken in gemischten Noten ein, die Summe, die ich einst für das Wickelkleid ausgegeben habe; es hängt noch immer in meinem Schrank.

Zum ersten Mal in einer Bank

Ich versuchte meine Beziehung zum Geld bereits ein paar Wochen vor dem Seminar zu klären – im Hauptsitz der Zürcher Kantonalbank. Zum ersten Mal in meinem Leben sass ich im Beratungszimmer einer Bank, und genau das ist natürlich Teil des Problems. Ich habe nicht nur die 32000 Franken Startkapital vor sich hinschlummern lassen. Alles, was seither dazugekommen ist, liegt ebenfalls auf Konten, auf denen es kaum verzinst wird; selbst meine dritte Säule ist nicht in Wertschriften angelegt.
Dabei ist so ein Termin überraschend angenehm. Ein freundlicher Mitarbeiter im Anzug serviert Kaffee auf dem Silbertablett, daneben liegen Süssigkeiten und eine Rosenblüte. Und wäre ich vor 35 Jahren mit meinen 32000 Franken gekommen, sagt Olivia Schwyn, hätte man mich ebenso herzlich empfangen. Schwyn ist «Relationship Managerin» bei der ZKB. Sie wird mir heute erklären, wie meine Beziehung zur Bank verlaufen wäre, hätte ich denn je eine gehabt.
Das erste Gespräch sei besonders wichtig, sagt Schwyn, es ist ein «Dialog auf menschlicher Ebene». Noch geht es nicht um Zahlen oder Strategien. Stattdessen will Schwyn wissen, welches meine Pläne und Ziele seien und was mir als Mensch wichtig sei. Ist es Sicherheit? Auf jeden Fall. Will ich etwas mit meinem Vermögen bewirken? Eigentlich schon. Oder möglichst nichts damit zu tun haben? Ehrlich gesagt: auch.
Im zweiten Gespräch, dem «strategischen Dialog», definiert Schwyn dann meine vier A: Anlagevolumen (32000 Franken), Anlagehorizont (mehr als 10 Jahre), Anlageprofil und Anlagestrategie. Beim Anlageprofil wird anhand meiner finanziellen Gesamtsituation ermittelt, wie viel Risiko ich eingehen kann und will. Das ist nicht das gleiche. Meine Risikofähigkeit lässt sich berechnen, es ist der Betrag, den ich verlieren kann, ohne in Schwierigkeiten zu geraten. Meine Risikobereitschaft ist das Risiko, bei dem ich noch gut schlafe. Um sie zu testen, legt mir die ZKB acht Aussagen vor, bei denen ich angeben soll, wie stark ich ihnen zustimme. «Ich informiere mich regelmässig über die aktuellen Entwicklungen an der Börse»: trifft eher nicht zu. «Es macht mir Spass, mich mit Finanzthemen auseinanderzusetzen»: trifft eher nicht zu. «Wenn ich das Wort Aktie höre, denke ich erst mal an Verluste»: trifft voll und ganz zu. Ich traue Aktien nicht, schliesslich soll mein Erspartes auf keinen Fall schrumpfen.
Schwyn fragt nach, woher diese kritische Haltung komme. Fehlt das Interesse? Oder das Wissen? Oder habe ich sie unbewusst aus der Familie übernommen? Denn so trocken das Thema Finanzen auch scheint – wie wir mit Geld umgehen, wird so sehr von Gefühlen bestimmt, dass es sogar einen Wissenschaftszweig gibt, der ergründet, warum wir nicht rational entscheiden. Die verhaltensorientierte Finanzmarkttheorie beschäftigt sich mit der Psychologie der Anleger. Mehr als 100 Verhaltenstendenzen hat man dort identifiziert. Sie erklären, warum und wie Menschen investieren – vier davon zeigen besonders gut, warum Leute wie ich es eben nicht tun.
1. Die Angst vor dem Verlust: Menschen erleben den Schmerz eines Verlusts doppelt so stark wie die Freude über einen gleich grossen Gewinn. Das haben die beiden Psychologen Daniel Kahnemann und Amos Tversky herausgefunden, zwei Pioniere des Fachgebiets. Deshalb verhalten wir uns irrational: Selbst wenn die Wahrscheinlichkeit, zu gewinnen, höher liegt als die, zu verlieren, gehen wir das Risiko nicht ein. Der erwartete Gewinn muss 1,5 bis 2,5 Mal grösser sein als der erwartete Verlust, damit wir die Angst überwinden. Von dieser Verlustaversion sind Männer und Frauen gleich häufig betroffen, und mit dem Alter nimmt sie tendenziell zu.
2. Der Bestätigungsfehler: Wir alle neigen dazu, vor allem jene Informationen aufzunehmen und für wichtig zu halten, die unsere Meinung bestätigen. Wer Aktien misstraut, wird sich bei jeder Schwankung an der Börse darin bestätigt sehen, sie seien ein Verlustgeschäft, selbst wenn das objektiv nicht stimmt.
3. Die Angst vor der Reue: Statt über gute Entscheidungen nachzudenken, verwenden wir viel Zeit darauf, keine schlechten zu fällen. Reue ist ein sehr unangenehmes Gefühl, das der Mensch zu minimieren versucht, indem er untätig bleibt. Denn Untätigkeit tut weniger weh. Kahnemann und Tversky zeigten das, indem sie Versuchsteilnehmern zwei Geschichten vorlegten. In der ersten besitzt ein Mann namens Paul Aktien der Firma A und überlegt sich, stattdessen Aktien der Firma B zu kaufen. Er entscheidet sich dagegen. Ein Jahr später erfährt er, dass er 1200 Dollar reicher wäre, hätte er sich für den Wechsel entschieden. In der zweiten Version besitzt ein Mann namens George Aktien der Firma B und tauscht sie gegen Aktien der Firma A. Ein Jahr später erfährt er, dass er 1200 Dollar reicher wäre, hätte er das nicht getan. Die Frage an die Teilnehmer lautete: Wer von den beiden bereut sein Verhalten stärker? Obwohl das Ergebnis exakt das gleiche ist – beide wären 1200 Dollar reicher –, glaubten 92 Prozent der Befragten, Georges Reue sei grösser. Es ist ein menschliches Muster: Wir bereuen einen Verlust stärker, wenn er durch Handeln statt durch Nichthandeln entstanden ist.
4. Die Tendenz zum Status quo – und zur Trägheit: Stehen schwierige Entscheidungen an, entscheiden wir uns gern für den Weg des geringsten Widerstands und tun einfach nichts.

Bei welchem Risiko kann ich noch schlafen?

Unter den Menschen, die ihr Geld nicht investieren, sind sehr viel mehr Frauen als Männer. Laut einer Studie der J.-P.-Morgan-Bank legen nur 18 Prozent der Frauen in Westeuropa regelmässig Geld an; bei den Männern sind es 29 Prozent. Auch in der Schweiz klafft ein «Gender Investment Gap». Hierzulande investiert jeder zweite Mann in Fonds oder Aktien, aber nur jede dritte Frau, wie eine aktuelle Studie des Forschungsinstituts Sotomo zeigt.
Inzwischen richtet sich die Branche oft gezielt an eine weibliche Kundschaft, natürlich auch aus Eigennutz. Würden Frauen gleich viel investieren wie Männer, flössen weltweit 3,22 Billionen Dollar zusätzlich in den Markt, schätzt der Finanzdienstleister BNY Mellon IM. Das sind 3220 Milliarden. Vielleicht verbesserte sich dadurch auch gleich noch die Welt, weil für Frauen Kriterien wie «Nachhaltigkeit» oder «soziale Verantwortung» beim Investieren häufig wichtiger sind.
Im Beratungszimmer der ZKB geht es nun um die Anlagestrategie, die sich aus meinem Anlageprofil ableitet. Die Namen der fünf Fondsportfolios, die die ZKB im standardisierten Privatkundengeschäft anbietet, klingen ein wenig wie Badezusätze. In «Relax», «Select», «Balance», «Ambition» und «Focus» stecken je nachdem mehr Aktien, Obligationen oder alternative Anlagen wie Rohstoffe, Immobilien oder Gold. Zu meiner sehr verhaltenen Risikofreude passt «Select», das Portfolio für Vorsichtige, bei der mindestens 10 und höchstens 35 Prozent in Aktien investiert sind.
Hätte ich eine Beziehung zu meiner Bank begonnen, wäre ich nach den ersten zwei Gesprächen idealerweise einmal im Jahr auf einen Kaffee vorbeigekommen, sagt Schwyn. Wir hätten die vergangenen 12 Monate Revue passieren lassen und in die Zukunft geschaut, um meine Finanzen zu überprüfen. Stehen grössere Ausgaben an? Plane ich eine Familie? Sorge ich genug fürs Alter vor? Wir hätten auch darüber diskutiert, ob «Select» noch zu mir passe, allerdings nur alle 3 bis 5 Jahre. Schwyn rät davon ab, dauernd hin und her zu wechseln. Sowieso gebe es ein grosses Missverständnis beim Anlegen, sagt sie. Die Leute hätten immer das Gefühl, sie müssten den richtigen Zeitpunkt für den Einstieg erwischen: «Aber entscheidend ist Time, nicht Timing.» Hat man genügend Zeit, ist jeder Zeitpunkt der richtige.
Für mich ist nun der bittere Moment gekommen, mir einzugestehen, was aus meinen 32000 Franken hätte werden können, wäre ich früher hier gesessen. Zur Erinnerung: Nach 35 Jahren liegen auf meinen Sparkonti 51530 Franken. Der Blick auf die bunten Kurven der ZKB tut ein bisschen weh. Hätte ich mich für «Select» entschieden, wären es jetzt knapp 90000 Franken. Wäre ich ambitioniert genug für «Ambition» gewesen, besässe ich 134015 Franken.
Vor einem Jahr wäre der Anblick noch trostloser gewesen: Damals hätte mein maximales hypothetisches Vermögen 154709 Franken betragen; dreimal mehr als mein tatsächliches. Aus den bunten Kurven leitet sich aber nicht nur Reue, sondern auch eine weitere Erkenntnis ab: Meine Angst vor dem Risiko war zu jedem Zeitpunkt falsch. Selbst als die Börsen abstürzten – nachdem die Dotcom-Blase im Jahr 2000 geplatzt war, in der Finanzkrise 2008, der Eurokrise 2011 und während der Corona-Pandemie 2020 –, hätte ich mein Vermögen angelegt, wäre die Kurve so gut wie nie unter jene meines Sparkontos gefallen.
Frauen würden oft nach einer falschen Sicherheit streben, sagt Olivia Schwyn beim Abschied. Dabei sollte man Vermögen nicht nur als Sicherheit begreifen, sondern auch als Chance. Ihr Rat an alle Frauen wie mich: Man müsse nicht begeistert vom Thema sein, auch keine dicken Bücher dazu lesen. «Aber setzen Sie sich mit Ihren Finanzen auseinander. Es lohnt sich.»

Frauen wissen mehr, als sie annehmen

Eines der grössten Hindernisse für Frauen: Sie wissen zu wenig darüber, wie der Geldmarkt funktioniert – oder glauben es zumindest. Das zeigen alle Studien zur Finanzkompetenz. Das grundlegende Wissen zu Zinsen, Inflation und Diversifikation wird in der Wissenschaft oft mit drei Standardfragen getestet, den sogenannten «Big Three».
1. Angenommen, Sie haben 100 Franken auf dem Konto, bei einem Zinssatz von 2 Prozent. Wie hoch ist der Kontostand nach 5 Jahren? a) mehr als 102 Franken, b) genau 102 Franken, c) weniger als 102 Franken, d) weiss ich nicht.
2. Der Zinssatz auf dem Konto ist 1 Prozent, die Inflationsrate liegt bei 2 Prozent. Können Sie nach einem Jahr a) mehr kaufen als jetzt, b) genau so viel kaufen wie jetzt, c) weniger kaufen als jetzt, d) weiss ich nicht.
3. Der Kauf einer einzelnen Aktie ist in der Regel weniger riskant als der Kauf eines Aktienfondsanteils. Diese Aussage ist a) richtig, b) falsch, c) weiss ich nicht.
Mir kamen die Fragen nicht besonders schwierig vor, aber nur die Hälfte der Leute in der Schweiz beantworten alle drei richtig (die Auflösung steht am Schluss des Artikels). In diesen Tests schliessen Männer stets besser als Frauen ab, und zwar überall auf der Welt. Allerdings hat Tabea Bucher-Koenen ein interessantes Folgeexperiment dazu durchgeführt. Der Finanzprofessorin an der Universität Mannheim war aufgefallen, dass Frauen viel häufiger «weiss ich nicht» ankreuzten als Männer. Also entfernte sie dieses Kästchen aus dem Fragebogen. Und tatsächlich: Zwang man die Frauen, sich für eine Antwort zu entscheiden, lagen sie meistens richtig, und der Abstand zu den Männern verringerte sich deutlich. Frauen wissen also tendenziell tatsächlich weniger über Finanzen – sie trauen sich aber auch einfach weniger zu.
Das sei unter anderem ein Problem der Bilder und der Sprache, sagt die Verhaltensökonomin Christine Laudenbach, die am Leibniz-Institut für Finanzmarktforschung arbeitet. Wenn sie mit Frauen über den Kapitalmarkt rede, hätten viele das Gefühl, er funktioniere wie ein Casino. «Sie denken, entweder werde ich reich, oder ich verliere alles. Das ist natürlich Quatsch.» Ausserdem würden die vielen Anglizismen und der Jargon abschrecken, «wenn Frauen das Wort ETF hören, sind die meisten weg». (Ich musste das nachher googeln: «Exchange Traded Funds sind Indexfonds, die wie Aktien an der Börse gehandelt werden …» dann war ich auch schon wieder weg.) Es ist nicht so, dass Männer all diese Begriffe verstehen. «Es hält sie einfach seltener vom Investieren ab.»
Allerdings: Wenn Frauen investieren, dann zahlen sie der Bank mehr Gebühren und bekommen weniger Rendite. Dass hat Laudenbach in einer Studie festgestellt, für die sie gemeinsam mit ihren Kollegen die Daten aus 17000 Beratungsgesprächen eines Finanzinstituts analysierte. Bankberater empfehlen Frauen häufiger teurere Fonds als Männern.
Das bedeute nicht, dass sie die Frauen bewusst diskriminierten, sagt Laudenbach. Viele Frauen wünschten sich ein «Rundum-Sorglospaket», und diese Produkte seien nun mal teurer. Ausserdem legen Anlegerinnen oft viel Wert auf Sicherheit, weshalb ihnen die Berater Fonds anbieten, die risikoarm sind und dadurch weniger Rendite bringen – oft allerdings sogar noch risikoärmere, als die Frauen es wünschten.
Ausserdem bekommen Frauen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit Rabatte. Sie fragen seltener danach, und die Berater bieten es ihnen von sich aus seltener an. Ein Grund dafür könnte sein, dass Frauen und Männer mit einer unterschiedlichen Haltung in die Gespräche gehen. In Laudenbachs Studie gibt jede dritte Frau an, sie hätte sich ohne Beratung gar nicht getraut, Geld zu investieren; sie verstehen ihren Berater als eine Art Coach. Männer hingegen handeln wie bei einem Autokauf: Sie vergleichen die Angebote mehrerer Banken und verhandeln über den Preis. Trotzdem: Frauen sollten sich von den Ergebnissen ihrer Studie nicht davon abhalten lassen, zu ihrer Bank zu gehen, sagt Laudenbach. «Selbst wenn sie teilweise anders behandelt werden, haben sie später immer noch mehr Geld, als wenn sie sich einfach nicht darum kümmern.»

Die schlechteste Investition meines Lebens

Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum Frauen seltener Geld anlegen als Männer. Sie haben schlicht weniger davon. Die Lohnsumme, die während eines ganzen Berufslebens aufs Konto fliesst, liegt bei Frauen in der Schweiz 43 Prozent tiefer als bei Männern, weil sie häufiger Teilzeit arbeiten und weil sie weniger verdienen. Das eine führt zum anderen: Aus dem «Gender Overall Earnings Gap» ergibt sich der «Gender Investment Gap» und daraus der «Gender Wealth Gap», die Kluft zwischen den Vermögen der Geschlechter.
Laut der Umfrage einer Finanzfirma glauben Frauen in der Schweiz, sie müssten mehr als 5000 Franken im Monat zur Verfügung haben, um mit dem Investieren überhaupt beginnen zu können. Dabei, sagt Laudenbach, könne man auch mit 25 Franken monatlich einsteigen. Überhaupt: Das ganze Thema sei von Missverständnissen geprägt. Wer anlegt, muss ja deshalb nicht plötzlich den Markt beobachten oder im Auge behalten, ob in einer Firma das Management wechselt. Viele Leute würden immer noch stark in Einzelaktien denken. «Sie stellen sich vor, man steige mit einer oder zwei Aktien an der Börse ein, dabei würde das ja kein vernünftiger Mensch machen.»
Es ist mir etwas peinlich, aber: genau das habe ich gemacht. Ich besitze nämlich tatsächlich ein paar Aktien, das schlechteste Investment meines Lebens. Während ich bei der «Annabelle» arbeitete, die damals zur Tamedia gehörte, ging die Firma an die Börse. Um die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu beteiligen, bot man uns Aktien mit einem Rabatt von 20 Prozent an. Ich dachte, das sei ein Bombengeschäft und die Gelegenheit, endlich mehr aus meinem Geld zu machen; ausserdem gefiel mir der Gedanke, Mitbesitzerin meines Arbeitgebers zu sein. Also kaufte ich mir im Oktober 2000 38 Aktien zum Vorzugspreis von 208 statt 260 Franken; ein Jahr später waren sie auf unter 100 Franken gefallen. Aus Scham und Reue schaute ich danach sehr lange keine Kurse mehr an und misstraute Aktien noch stärker als zuvor.

«Trau keiner Bank!»

Solche Momente, in denen Erfahrungen mit Geld von starken Gefühlen begleitet werden, nennt Brad Klontz «financial flashpoints», also «finanzielle Brennpunkte». Sie brennen sich in unser Gedächtnis ein und bestimmen fortan unser Handeln. Klontz verdankt einem solchen Brennpunkt sein Fachgebiet. Der amerikanische Finanzpsychologe ist mit seinem Konzept der «Money Scripts» bekannt geworden: Er geht davon aus, dass wir alle bei unseren Finanzentscheidungen automatisch einer Art Gelddrehbuch folgen, das uns gar nicht bewusst ist. Dieses Money Script formt sich während der Kindheit durch Botschaften und Gewohnheiten, die zum Teil über Generationen weitergegeben werden, und durch finanzielle Brennpunkte.
«Trau keiner Bank!» war so eine Botschaft in Klontz’ Familie, die einst durch einen solchen Brennpunkt entstanden war. Klontz’ Vorfahren waren bitterarm, alle schufteten auf Farmen oder in Fabriken. Der einzige, der je ein bisschen Geld auf der Bank hatte, war sein Grossvater mütterlicherseits, ein Arbeiter in einer Detroiter Autofabrik. Doch in der Weltwirtschaftskrise schloss die Bank ihre Pforten, und das ganze Geld war weg. Daraufhin schwor sich der Grossvater, niemals mehr auch nur einen Dollar einer Bank anzuvertrauen, bewahrte sein Erspartes in einer Truhe auf dem Dachboden auf und gab sein Misstrauen an seine Kinder weiter.
Klontz’ Mutter und sein Vater schafften zwar den Aufstieg aus der Unterschicht, sie wurden beide Lehrer. Doch obschon sie nun zur unteren Mittelklasse zählten, handelten sie nach den Glaubenssätzen ihrer Vorfahren. Sie legten ihre Ersparnisse nicht an, forderten nie Lohnerhöhungen. Sobald es um Geld ging, fühlten sie sich schlecht. Sie blieben gefangen im «Arme-Leute-Denken», wie Klontz es heute nennt.
Klontz wuchs deshalb im festen Glauben auf, seine Familie sei arm. Und weil er sich dafür schämte, nahm er sich vor, alles anders zu machen. Als junger Mann mit 10000 Dollar Schulden für Studiendarlehen beschloss er, die Abkürzung zum Reichwerden zu nehmen. Er verkaufte sein Auto, das einzig Wertvolle, was er besass, und begann mit den 7000 Dollar an der Börse zu spekulieren. Drei Monate lang machte er richtig viel Geld, dann platzte die Dotcom-Blase. Klontz’ Versuch, ganz anders als seine Eltern zu handeln, brachte ihn an jenen Punkt zurück, dem er entfliehen wollte: in die Armut. Der Schmerz und die Scham darüber waren sein Antrieb, um herauszufinden, warum wir so oft falsche Entscheidungen treffen, wenn es um Geld geht.

Welchem Drehbuch folge ich?

Klontz befragte Hunderte von Menschen nach ihrer Geldbiographie und den finanziellen Brennpunkten im Leben ihrer Familie und in ihrem eigenen. Welches sind die ersten Erinnerungen an Geld? Wie gingen die Eltern damit um? Wie wurde darüber geredet? Wann wurde darüber gestritten? Welche Glaubenssätze galten? Aus all diesen Gesprächen destillierte Klontz vier zentrale Money-Scripts heraus: Vermeidung, Anbetung, Statussuche und Wachsamkeit.
Vermeider glauben, dass Geld schlecht ist, reiche Menschen gierig sind und es besser ist, sich überhaupt nicht mit Geld zu beschäftigen.
Anbeter sind davon überzeugt, dass mehr Geld all ihre Probleme lösen wird, man nie genug Geld haben kann und es ihnen Macht, Glück und Freiheit verleihen wird.
Statussucher setzen ihren Selbstwert mit ihrem Verdienst und ihrem Vermögen gleich. Sie sind wettbewerbsorientiert und legen Wert darauf, neue und teure Dinge zu besitzen.
Wachsame halten Sparen für besonders wichtig. Sie sind genügsam, verraten andern nicht gerne, wie viel sie besitzen, und tun sich oft schwer damit, ihr Geld zu geniessen.
In Folgestudien hat Klontz herausgefunden, dass sich mit den vier Gelddrehbüchern heikles Verhalten in Bezug auf die Finanzen voraussagen lässt. Die ersten drei Money-Scripts sind häufig problematisch; wer einem davon folgt, hat tendenziell eher Schulden, weniger Ersparnisse und neigt dazu, seine Familie in Bezug auf Geld anzulügen.
Vermeider neigen dazu, die Augen vor ihrer finanziellen Situation zu verschliessen. Sie zahlen Rechnungen oft zu spät oder gar nicht, sie häufen Schulden an, sind von anderen abhängig oder lassen sich von ihnen ausnehmen. Das Gegenteil davon machen die Anbeter: sie sind auf Geld fixiert und laufen Gefahr, zu viel zu arbeiten und darüber die Familie und die Gesundheit zu vernachlässigen; ausserdem ist ihr Risiko erhöht, spielsüchtig zu werden und riskante Investitionen zu tätigen. Statussucher handeln ähnlich wie Anbeter, aber ihr Antrieb ist ihre Wirkung nach aussen. Sie verschulden sich oft und leiden überdurchschnittlich häufig an Kaufsucht. Frauen und Männer sind übrigens in allen Kategorien gleichermassen ­vertreten.
Das Problem ist, dass uns die Money Scripts dazu verführen, schnell und automatisch zu handeln, wenn es um Geld geht. Um sich anders zu verhalten, muss man sich laut Klontz deshalb zuerst des eigenen Scripts bewusst werden. Wer vor allen finanziellen Entscheidungen innehält und sich fragt, warum er sich so entscheiden würde, kann sein Script mit der Zeit überschreiben.
Klontz hat deshalb das «Klontz Money Script Inventory» entwickelt, einen Onlinetest, bei dem man blitzschnell sein eigenes Script ergründen kann. Er besteht aus 33 Aussagen, bei denen ich ankreuze, wie stark ich ihnen zustimme: «Geld oder Liebe – beides kann man nicht haben»: stimme ich nicht zu. «Es ist wichtig, für schlechte Zeiten zu sparen»: stimme ich zu. «Geld korrumpiert»: stimme ich ein bisschen zu. «Es ist schwierig, arm und glücklich zu sein»: stimme ich ein bisschen zu. Sekunden nachdem ich alle Testfragen beantwortet habe, liegt die Auswertung im E-Mail-Postfach.
Den tiefsten Wert erziele ich bei «Status», während ich bei «Vermeidung» und «Anbetung» im Mittelfeld liege. Mein prägendes Skript ist jenes der «Wachsamkeit», wo die sicherheitsbedürftigen Sparer landen. Das ist kein schlechtes Drehbuch, um durchs Leben zu kommen. Allerdings warnt Klontz, dass auch das Streben nach Sicherheit zur Sucht werden kann. Dann nämlich, wenn sich der Betrag, von dem man glaubt, er bedeute Sicherheit, immer weiter nach oben verschiebt. Statt ihr Geld auch zu geniessen, sparen solche Menschen es einfach immer weiter an und fürchten sich noch mit Millionen auf der Bank davor, zu verarmen.

Woher kommt die Angst vor dem Verarmen?

Manchmal liege ich nachts wach und rechne. Ich rechne, ob meine Rente dereinst reichen werde. Ich rechne, was passieren würde, wenn ich den Job verlöre, nie mehr einen fände, ausgesteuert würde, die Miete nicht mehr bezahlen könnte, bei der Sozialhilfe strandete … Es ist eine Spirale, die sich im Dunkel der Nacht in den Abgrund schraubt. Woher aber kommt diese irrationale Angst, die mich schon mein Leben lang begleitet?
«Sparen ist eine Tugend» ist eine Botschaft, die ich von meinen Eltern mitgenommen habe. Eine zweite lautet: «Über Geld spricht man nicht.» Deshalb rufe ich sie nun an und rede mit ihnen über Geld; es werden zwei lange und schöne Gespräche. Ich erfahre, dass all meine Vorfahren immer sparsam waren; nie schlug jemand über die Stränge. Sparen ergab einfach immer Sinn. Mein Vater erzählt, dass er mit seinem Bruder im Zimmer schlief und das Geld manchmal knapp war, vor allem nach der Trennung seiner Eltern. Meine Mutter erinnert sich, dass meine Grossmutter zu Hause die Finanzen verwaltete; sie gab meinem Grossvater, der aus einer sehr armen Familie stammte, jeweils Taschengeld.
Und dann stossen wir doch noch auf finanzielle Brennpunkte, die unsere Familie prägten. Oskar war der Vater meiner Grossmutter. Seine Eltern waren aus Deutschland in die Schweiz eingewandert, sein Vater hatte hier eine Schreinerei aufgebaut, und als der Erste Weltkrieg ausbrach, wollte er seinen beiden Söhnen das Schweizer Bürgerrecht kaufen. Aber das Geld reichte nur für einen. Oskar musste für Deutschland in den Krieg ziehen, überlebte das Grauen in den Schützengräben von Verdun. Er zahlte den Preis für das fehlende Geld. Bei seiner Rückkehr darbte die Schreinerei, und als er sie mit seinem Vater neu aufbaute, stürzte dieser bei den Bauarbeiten in den Tod.
Meine Grossmutter wuchs in der Wohnung oberhalb der neuen Schreinerei auf. Dann zündete ein Brandstifter den Betrieb an. Das ganze Gebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder, und die Familie, so hielt es der Polizeibericht fest, «konnte von ihrem Hausrat rein gar nichts retten». Alles war verloren. Das hat meine Grossmutter nie vergessen. Ihr Leben lang brachte sie jeden Franken auf der Bank in Sicherheit, während mein Grossvater sein Geld unter der Matratze versteckte.
«Weisst du», sagt meine Mutter zum Schluss am Telefon, «wir waren zwar immer sehr sparsam, aber heute im Alter sind wir es nicht mehr.» Ich frage überrascht, was sie damit meine, schliesslich weiss ich, dass sie kaum je im Restaurant essen und nicht in die Ferien fahren. Heute, sagt sie, halte sie sich wirklich nicht mehr gross zurück: «Wenn wir Lust haben, nehmen wir im Laden einfach den teureren Käse.»

«Geld ist Mangelware»

Im Geldseminar an jenem Wochenende im Spätherbst sind wir nur zu viert: Die Seminarleiterin Monika Caluori, die Ladenbesitzerin Ana, die alleinerziehende Mutter Judith und ich, die allzu sparsame Journalistin. Ana gilt in ihrem Umfeld als erfolgreiche Geschäftsfrau, kommt aber in Wahrheit mit ihrem Geld kaum durch; die Corona-Pandemie hat tiefe Löcher in die Bilanzen gerissen, und der Hausbesitzer will das Ladenlokal nun auch noch viel teurer vermieten. Judith bringt ihre drei Kinder mit ihrem Job als Körpertherapeutin durch; der Vater zahlt keine Alimente. Aber die Praxis läuft nicht gut, immer wieder ist ihr Konto leer. Und jetzt ist sie an einem neuen Tiefpunkt angelangt. Vor einer Woche hat sie erfahren, dass ihr fünfzehnjähriger Sohn Vater wird.
Das Seminar ist eine Mischung aus Money Scripts und Psychoanalyse: Es geht darum zu erkennen, was wir auf Geld projizieren. Projektion im tiefenpsychologischen Sinn bedeutet, dass wir Dinge aus unserem Innenleben – Wünsche, Ängste, ungelöste Konflikte oder widersprüchliche Gefühle – auf andere Menschen oder Objekte verschieben: Wir sehen in ihnen das, was uns selbst beschäftigt.
Der Geldforscher Peter Koenig, der diese Seminare vor 30 Jahren entwickelt hat, sagt, Geld sei nichts als eine leere Leinwand, die wir mit unseren Vorstellungen füllten. Was wir dem Geld zuschreiben, ist das, was uns in unserem Inneren fehlt. Darum werden wir auch nicht wirklich freier oder sicherer oder unabhängiger, wenn der Kontostand wächst. Laut Koenig gibt es aber auch Menschen mit negativen Projektionen, und wer glaube, dass Geld korrumpiere oder ein notwendiges Übel oder schmutzig sei, neige dazu, es von sich wegzuhalten. In seiner Theorie verläuft der Geldfluss eigentlich recht simpel: Die Leute mit den negativen Projektionen leiten ihr Geld zu jenen mit den positiven um.
Das erinnert arg an all die Geldgurus, die Millionen von Büchern mit dem Versprechen verkaufen, man müsse nur sein «Mindset» ändern, und schon falle das Manna vom Himmel. Als wäre Ungleichheit kein strukturelles Problem und die Startbedingungen für alle Menschen ähnlich. Aber in Koenigs Seminaren geht es nicht darum, wie man zu mehr Geld kommt. Sondern darum, wie man aufhört, dem Geld eine so grosse Bedeutung für Glück oder Unglück einzuräumen.
Um unsere Projektionen zu erkennen, schreibt Monika Caluori Sätze auf, die uns zu Geld einfallen. Geld ist beruhigend. Geld ist unwichtig. Geld ist ein Speicher. Geld ist Mangelware. Dann lässt sie uns das Wort «Geld» mit dem Wort «ich» ersetzen. «Projektionen zurücknehmen» nennt sich das. Wir sprechen die neuen Sätze aus, ändern sie ab, verwandeln sie in ihr Gegenteil und sollen dabei fühlen, was das in unserem Körper auslöst.
Obwohl sich mein Verstand anfangs wehrt, mich auf all das einzulassen, passieren in diesen zwei Seminartagen wunderliche Dinge. Wir sprechen nicht nur seltsame Sätze aus, wir weinen auch ein bisschen und lachen viel, und irgendwann singe ich sogar, «Blackbird» von den Beatles.
Und dann kommt der Moment, in dem ich verstehe, was ich auf Geld projiziere. Ich sitze auf dem Stuhl und versuche, in mich hineinzuhorchen. Ein Satz steigt in mir auf. Zuerst denke ich, er laute «plötzlich ist all mein Geld weg», dann «plötzlich ist alles weg», aber erst der dritte fühlt sich richtig an: «Plötzlich sind alle weg.» Ich bin gerade über meine Urangst gestolpert, und sie hat nichts mit meinen Finanzen zu tun. Ich fürchte mich davor, Menschen zu verlieren, die mir wichtig sind, und Geld wird diese Angst nicht lindern, egal wie viel ich davon anhäufe. Ich kann also genauso gut damit aufhören, mir vorzugaukeln, ich könne mir ein Gefühl der Sicherheit ansparen.
Und was ist schliesslich mit den 450 Franken, passiert, die am Ende des «Money Games» vor Judith statt vor mir lagen? Ich schenkte sie ihr spontan. In der darauffolgenden Nacht aber wachte ich auf und wurde von Reue durchflutet. 450 Franken! Verschenkt! An eine so gut wie Fremde! Mir fiel die Outdoorjacke ein, die ich ein paar Tage zuvor probiert hatte, wasserfest, atmungsaktiv und erst noch schön. Sie hätte 250 Franken gekostet, und ich hatte sie mir versagt. Dann fiel mir ein, was die Seminarleiterin Monika Caluori erwähnt hatte, eine mir bis dahin unbekannte Erkenntnis aus der Emotionsforschung: Unangenehme Gefühle muss man nicht bekämpfen oder wegschieben, denn sie verschwinden innerhalb von zehn Minuten von selbst. Und tatsächlich: Nach einer Viertelstunde war die Reue abgeebbt. Ich freute mich über mein Geschenk an Judith, das gleichzeitig eines an mich selbst war. Ich wusste nun, dass 450 Franken kein «bedeutsamer Betrag» mehr für mich sind; für Judith aber schon.
Was nicht nach 10 Minuten verfliegt, ist die Reue darüber, so viele Jahre lang nichts aus meinen 32000 Franken gemacht zu haben. In Zukunft werde ich deshalb einer von mir entwickelten Finanzstrategie folgen; in Anlehnung an die Badezusatz-Portfolios der ZKB habe ich sie «Courage» genannt. Ich investiere mein Geld langfristig in nachhaltige Anlagen und kurzfristig ins kleine Glück. Sollte ich dereinst verarmen, dann in einer wasserfesten Outdoorjacke.

* Namen geändert
(Die Auflösung zum Test der Finanzkompetenz:
1 a, 2 c, 3 b)


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