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Päckchen für Putin

Nur wenig deutet darauf hin, dass Unterstützung für Wladimir Putins Kriegsmaschinerie offenbar auch aus einer kleinen Wohn­straße in Stuttgart-Stammheim kommt. Zwischen Reihenhäusern flattern Schmetterlinge durch die Gärten, auf dem Bürgersteig spielen Kinder. Etwas versteckt finden sich an zwei Hausnummern kleine Schilder mit einem Firmennamen: Elix-St. GmbH. An der einen Adresse finden sich Büroräume. Die andere aber, ein Einfamilienhaus mit Topfblume vor der Tür, steht im Handelsregister als Sitz der Firma.
Wenn das Unternehmen, das sich hier verbirgt, Päckchen mit Mikroelektronik Richtung Osten verschickt, dann meist mit beruhigenden Vermerken. Die Bauteile seien ausschließlich für den privaten Gebrauch gedacht, für Kameras, »für Smart Home Module«, so ist es in Dokumenten vermerkt. Ganz harmlose Sendungen also, fand auch der Zoll. Doch hätten die Beamten genauer hingeschaut, wäre ihr Urteil womöglich anders ausgefallen.
Es hätte sie stutzig machen können, dass als Käufer in der kasachischen Hauptstadt Astana ein Zwischenhändler fungiert, der im März 2022 gegründet wurde – kurz nachdem der Westen seine ersten Russlandsanktionen auf den Weg gebracht hatte. Und sie hätten entdecken können, dass Elix-St. ein Schwesterunternehmen in Moskau hat, eine Firma mit denselben Eigentümern und einer nahezu identisch anmutenden Internetpräsenz.
Das größtenteils kyrillische Kundenverzeichnis der Moskauer Schwestergesellschaft jedenfalls passt nicht recht zu Kameras für den Privatgebrauch oder Smart-Home-Anwendungen. Auf der Website brüstet sich Elix-M mit hochrangigen Verbindungen: zum russischen Auslandsgeheimdienst SWR etwa, dem Kampfflugzeugkonzern Suchoi und mehreren Raketenbauern.
Nachdem Putin seine Truppen in die Ukra­ine einmarschieren ließ, hat der Westen ein umfangreiches Sanktionsregime auf den Weg gebracht. Der Verkauf von Elektronikbauteilen nach Russland ist inzwischen vollständig untersagt. Doch offensichtlich werden die Exportverbote systematisch umgangen.
[Das Medium] hat gemeinsam mit der norwegischen Risikoanalysefirma Corisk, dem russischen Investigativportal iStories und dem internationalen Rechercheverbund OCCRP Zolldaten ausgewertet, um die Handelsrouten von Elix-St. und anderen mutmaßlichen Embargobrechern nachzuzeichnen. Die Daten lassen den Schluss zu: Auch aus Deutschland heraus werden russische Rüstungskonzerne offenbar mit Elektronik versorgt, wie sie auch für Waffensysteme verwendet wird.
Mal geht es um relativ einfache Mikrochips für den Einsatz in Drohnen, mal um komplexere Bauteile, die für die Steuerung von Marschflugkörpern verwendet werden können. Und es scheint, dass das europäische Sanktionsregime auch an anderer Stelle Löcher aufweist. So schafften es Drohnen aus den Niederlanden offenbar bis an die russische Seite der Front.
Allein Elix-St. soll nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Dutzende Lieferungen im Wert von insgesamt mehr als 800.000 Euro nach Kasachstan verschickt haben. Nach [Medium]-Informationen wissen die deutschen Behörden von diesen Exporten, ohne dass sie sich bislang daran störten. Dabei hätten diese Geschäfte auffallen müssen: Zwischen 2018 und 2021 lieferte Elix-St. ­offenbar noch keine Waren nach Kasachstan – sehr wohl aber nach Russland. Das Hauptzollamt Stuttgart teilt mit, zu Einzelanfragen gebe man »aus datenschutzrechtlichen ­Gründen« keine Auskunft. Elix-St. verweist darauf, nach Russland seien in früheren Jahren »ein paar nicht wesentliche Lieferungen« gegangen.
Generell weist das Unternehmen den Vorwurf der Umgehung von Sanktionen von sich. Mit den auf der Website von Elix-M genannten Kunden aus Russlands Sicherheitssektor habe es »mit Ausnahme einer Firma keine Geschäftsbeziehungen gegeben«. Diese habe 2013 geendet. Zu den Verbindungen beider Elix-Firmen wird mitgeteilt, es »existieren und existierten keine Verträge« zwischen Elix-St. und Elix-M in Moskau.
Der Käufer der Elektroniklieferungen nach Kasachstan habe stets eine zivile Verwendung der Bauteile zugesichert und Elix-St. keine Kenntnisse von einer Weiterleitung nach Russland. Es habe auch keine Möglichkeiten gegeben, »dies nachzuprüfen oder zu kon­trollieren«.
Kasachstan ist für die Komponenten den Handelsdaten zufolge jedenfalls wohl nur ein Zwischenstopp. Am 31. Oktober 2022 etwa wurden 354 Fujitsu-Chips dort registriert, wo sie nicht hätten landen dürfen: beim russischen Zoll. Zwei Wochen zuvor waren die Bauteile in Kasachstan angekommen. Absender: Elix-St. aus Stuttgart.
Das Unternehmen weist jede Verantwortung von sich. Der Käufer habe, wie bei anderen Bestellungen auch, angegeben, »dass das Produkt für Dashcams benötigt werde«. Elix-St. habe keinerlei Kenntnis von einem Transport nach Russland. Alle Ausfuhren »wurden beim Binnenzollamt angemeldet und zur Ausfuhr freigegeben«. Das Unternehmen lasse sich von der Handelskammer beraten und achte darauf, dass Geschäftspartner nicht in Sanktionslisten auftauchen.
Doch offensichtlich war das Geschäft lohnend. Der russische Abnehmer, ein Zulieferer von Rüstungsunternehmen, zahlte für die Ware wohl umgerechnet knapp 113.000 Euro – mehr als das Doppelte des Einkaufspreises der Bauteile im Internet.
Die Päckchen aus Stuttgart-Stammheim sind Teil jenes anschwellenden und milliardenschweren Stroms sanktionierter Waren, der sich aus dem Westen kommend in Russlands Nachbarländer wälzt. Dabei geht es um mehr als nur um Elektronik und Computerteile. Geliefert werden Drohnen und Maschinen, Werkzeuge und Schmieröle, Kugellager und Chemikalien. Kurzum: Es findet sich vieles von dem, was der Kreml benötigt, um seine Volkswirtschaft und seine Militärmaschine am Laufen zu halten – und was ihn eigentlich nicht mehr erreichen sollte.
Für die Ukraine sind die Folgen dramatisch. Auch weil das Embargo umgangen wird, kann Russland seine Attacken länger aufrechterhalten. Und nicht nur China versorgt seinen russischen Verbündeten weiter mit Komponenten. In den Zolldaten, die [das Medium] mit seinen Partnern ausgewertet hat, finden sich klare Hinweise, dass auch Produkte deutscher Hersteller immer wieder den Weg über die russische Grenze finden. Für die Bundesregierung ist das peinlich. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte vor mehr als einem Jahr behauptet, die Sanktionen seien »lange vor Kriegsausbruch« und »haarscharf vorbereitet worden«.
Bis heute hat die EU insgesamt zehn Sanktionspakete verabschiedet, die Verbotslisten umfassen inzwischen mehrere Tausend Zollcodes. Doch auch 15 Monate nach Kriegs­beginn ist ihre Wirkung fraglich. Gutmeinende Firmen verzweifeln daran, den Überblick zu behalten. Und diejenigen, die die Einhaltung der Sanktionen überwachen sollen, sind längst überfordert. Geschaffen hat Europa auch ein bürokratisches Monster.
Das Problem zeigt sich schon in dem Umstand, dass niemand sagen kann, welche Behörde die Sanktionen hart durchsetzen könnte. Der Zoll und das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) sind schon jetzt überlastet.
Es ist eine absurde Lage: Deutsche Zöllner müssen täglich im Blick behalten, dass keine Tennisschläger und Büstenhalter direkt nach Russland verkauft werden. Zugleich aber fehlen Kapazitäten und Befugnisse, um die Lieferung kriegswichtiger Güter über Kasachstan zu unterbinden, wie der Fall der Stuttgarter Firma Elix-St. zeigt.

Umweg über Kasachstan

Es ist kein sonderlich konspiratives Netzwerk, das Russland da aus dem Stuttgarter Norden mutmaßlich mit Elektronik versorgt. Geprägt wird es von einer Familie. Ihre Spuren ließen sich leicht finden – wenn die Kon­trolleure sie denn suchen würden. Offensichtlich braucht es kaum mehr als ein paar neu gegründete Firmen, um die westlichen Verbotslisten auszutricksen.
Als Gesellschafter, so heißt es im entsprechenden Vertrag der Firma Elix-St. aus dem Jahr 2002, fungieren die Eheleute Elena Ch. und Jewgenij Ch. Beide haben einen russischen Pass. Jewgenij Ch. ist auch Gesellschafter von Elix-M, dem russischen Zwillingsunternehmen mit Sitz in Moskau. Für die Firma arbeiten zwei weitere Männer: Wadim und Alexan­der Ch., offenbar Söhne des Paares. Wadim taucht im deutschen Handels­register als Prokurist von Elix-St. auf. Alexander ist wohl Angestellter der Firma, so schreibt er auf dem Karrierenetzwerk Xing.
Er dient mutmaßlich auch als Verbindungsmann gen Russland: Offizielle Dokumente weisen ihn als Gesellschafter und Geschäftsführer der Firma Da Group 22 aus. Das ist ausgerechnet jene Firma, an die Elix-St. aus Stuttgart die Sendungen nach Kasachstan adressiert. Standort: ein Bürogebäude im Zentrum der kasachischen Hauptstadt Astana.
Elix-St. bestreitet das, die Firma habe »keine Kenntnis über die Hintergründe der Unternehmensgründung der Firma Da Group«, und nennt einen anderen Mann als Gründer und eine Frau als vormals bestellte Geschäftsführerin der Da Group 22. Als Beleg schickt das Unternehmen einen veralteten Registerauszug. Zum Redaktionsschluss wies das vom [Medium] eingesehene staatliche Firmenregister gleichwohl Alexander Ch. als Geschäftsführer und Gesellschafter aus.
Registriert wurde die Firma am 14. März 2022, also weniger als einen Monat nach Beginn des Krieges. Seither tritt die Da Group 22 als Großabnehmer für Elektronik aus Deutschland auf. Viele der aus Stuttgart ­eintreffenden Pakete reichte das Un­ternehmen laut kasachischen und russischen Zolldaten umgehend weiter: nach Russland. Vermerkt ist als Empfänger ein Unternehmen namens Stek mitten in Moskau. Eine »junge und sich erfolgreich entwickelnde Firma«, so steht es auf ihrer Web­site. Seit Beginn der Invasion hat Stek Komponenten im Wert von etwa vier Millionen Euro ins Land gebracht.
Das Unternehmen verdient offenbar auch an Geschäften mit der Rüstungsindustrie. Als Kunden nennen die Betreiber eine Tochterfirma der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und einen Zulieferer russischer Raketenbauer. Ein anderer Abnehmer ist ein Konzern namens Set-1. Dessen ferngesteuerte Minenräumer werden von russischen Truppen in der Ostukraine eingesetzt. Das Stuttgarter Familienunternehmen Elix-St. beteuert, seit 2013 keine Geschäfte mehr mit Set-1 zu machen.
Auf die Kasachstanroute (siehe Grafik Seite 61) schickte die Firma allerdings immer wieder Waren. Ende Januar 2023 etwa sandte das Unternehmen der Eltern 300 sogenannte Mikrocontroller des Schweizer Halbleiterproduzenten STMicroelectronics an die Da Group 22 ihres Sohnes in Astana. Die Sendung hatte einen Warenwert von gerade einmal etwas mehr als 2300 Euro. Ihr Wert für Russland war vermutlich ungleich höher: Experten des Londoner Royal United Services Institute (Rusi) fanden ähnliche Chips der gleichen Serie in abgeschossenen Exemplaren der russischen Aufklärungsdrohne Orlan-10. Elix-St. verweist auf ein von der Da Group 22 vorgelegtes »End-User-Zertifikat«, die Teile seien für private Kameras gedacht gewesen.
Auch sogenannte Field-Programmable Gate Arrays (FPGAs) der US-Marke Xilinx, Mikrochips zur schnellen Verarbeitung von Signalen, konnte Elix St. nach Kasachstan liefern. Bis Mitte Februar 2023 versandte das Unternehmen mutmaßlich fast 1500 dieser Chips im Wert von knapp 100.000 Euro. Sie können mehrfach neu programmiert werden und finden laut Rusi in zahlreichen russischen Waffensystemen Verwendung. Bei russischen Iskander-Raketen etwa werden sie in einem Bauteil eingesetzt, um gegen Ende der Flugphase Ziele genauer treffen zu können. Die Chips stecken auch in Ch-101-Marschflugkörpern, mit denen Russland seit Monaten Kraftwerke und Wohnhäuser in der Ukraine angreift. Elix-St. sagt, diese Bauteile seien ebenfalls für private Kameras gedacht gewesen.
Offensichtlich kümmerte sich das Elix-Netzwerk auch darum, die Güter anderer Händler weiterzuleiten. Das Unternehmen Amu Electronics aus Nordhessen etwa verschickte binnen einem halben Jahr Sendungen im Wert von mehr als einer Millionen Euro an die Da Group 22 in Kasachstan. Aus Berlin wiederum lieferte Charlott Elec­tronic Waren für fast 600.000 Euro. Das Unternehmen ist laut eigener Aussage spezialisiert auf schwer lieferbare Komponenten. Eine Anfrage blieb unbeantwortet. Amu Electronics teilt indes mit, das Geschäft mit der Da Group 22 sei auf Vermittlung des Geschäftsführers von Elix-St. zustande gekommen. Das Unternehmen habe keine Kenntnis von den Verbindungen von Elix-St. und Elix-M zu russischen Rüstungskonzernen gehabt. Auch habe die Firma regelmäßig überprüft, ob die Geschäftspartner in Kasachstan auf Sanktionslisten auftauchten. Dies sei aber nicht der Fall gewesen. Es gebe eine Endverwendungsprüfung, und auch der Zoll habe alle Ausfuhren durchgewunken. Der größte Teil der Lieferungen seien »LEDs für ein Straßenbeleuchtungsprojekt gewesen«.
Viele Bauteile, die über Kasachstan ihren Weg nach Russland fanden, erfüllen eher einfache Funktionen. In den Verzeichnissen des kasachischen Zolls tauchen auch Elix-Lieferungen von Spannungswandlern der Firma Würth auf, sogar einfache Kontaktklemmen. Auch damit jedoch lässt sich aufrüsten. »Einfache Drohnen kann man schon mit Teilen aus dem Baumarkt bauen«, sagt der Münchner Raketenexperte Markus Schiller. Auch in komplexeren Waffensystemen kommen häufig eher schlicht anmutende Komponenten zum Einsatz. Russland setzt bewusst auf ältere Technik, die sich im Einsatz bewährt und als kompatibel mit anderen Bauteilen erwiesen hat. Das gilt auch für Chips.
Im Grunde seien deshalb alle Halbleiterprodukte sogenannte Dual-Use-Güter, geeignet sowohl für zivile Zwecke als auch für die militärische Verwendung, sagt Schiller. Wenn der Westen so tue, als müsste er Russland nur von Hightech der neuesten Generation abschneiden, »lügen wir uns in die Tasche«.

Drohnen aus den Niederlanden

Wie leicht die Sanktionen umgangen werden, zeigt sich auch in den Niederlanden.
Kurz nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine kam auch in den Handel mit Kamera-Drohnen Bewegung. Auch hier ging es über Kasachstan. In den ersten Monaten des Jahres 2022 hatten sich Käufer dort noch überhaupt nicht für die unbemannten Flugmaschinen interessiert, nach Kriegsbeginn stiegen die Lieferungen rasant an. Die Drohnen werden an der Front für militärische Zwecke eingesetzt: Russen und Ukrainer nutzen sie zur Feindaufklärung und um Granaten abzuwerfen.
Kasachische Zolldaten zeigen, wie die ­Niederlande ab Mai zum Großlieferanten für solche Copter aufstiegen. Die bei Rotterdam ansässige Firma DJI Europe – Tochtergesellschaft eines weltweit führenden chinesischen Herstellers – schickte bis Anfang 2023 Hunderte Drohnen nach Zentralasien. Einer der größten Abnehmer dort ist die Firma Aspan Arba in Kasachstan. Auf eine Anfrage [des Mediums] teilt die Muttergesellschaft DJI mit, man habe mit Verkaufsrichtlinien sichergestellt, dass nicht gegen Sanktionen verstoßen werde. Die im Mai 2022 begonnene Zusammenarbeit mit Aspan Arba sei Anfang April 2023 nicht erneuert worden.
Der Fall weist viele Ähnlichkeiten zum Elektroexport aus Stuttgart auf: Auch Aspan Arba wurde kurz nach Kriegsbeginn gegründet. Und auch von der Firma in Astana führt eine direkte Spur nach Russland.
Gründer ist ein Russe namens Ilja G., der in Moskau einen Drohnenvertrieb namens »Himmlische Mechanik« führt. Der Geschäftsführer des Unternehmens wiederum gehörte früher zu den Eigentümern von Himmlische Mechanik. Auf Anfrage will sich G. nicht äußern: Er habe keine Lust, auf einer Sanktionsliste zu landen, sagte er dem russischen Portal iStories.
Vieles spricht dafür, dass die Drohnen aus den Niederlanden an die Front gelangten. So ging im Februar dieses Jahres eine Zahlung von 799.000 Rubel auf den Konten von Himmlische Mechanik ein, damals umgerechnet 10.000 Euro. Das Geld für den Quadrokopter, ein Fluggerät mit vier Rotoren, hatte ein russischer Fonds überwiesen: die »Volksfront – Alles für den Sieg«. Die Organisation sammelt Spenden in Russland, um Ausrüstung für russische Kämpfer in der Ukraine zu kaufen. Sie gehört zur gleichnamigen Kreml-Organisation »Volksfront«. Der russische Chefpropagandist Wladimir Solowjow behauptete jüngst, die Initiative habe bereits den Kauf von 300 Drohnen für die Truppen finanziert.
Im April 2022 erwarb ein Moskauer Veteranenverband einen kleinen DJI-Copter. Und im Frühjahr 2023 überwies ein »Regionalrat für Militär- und Arbeitsveteranen« 2,7 Millionen Rubel (35.000 Euro) für ein Gerät des Typs Matrice 300RTK. Eine Anfrage zum weiteren Verbleib der Drohne beantwortete der Vorsitzende der Organisation nur knapp mit einer Gegenfrage: »Wem gehört die Krim?« Weiter schwieg er.

Der Kontrollverlust

Was nutzt das »umfangreichste Sanktionspaket der Geschichte«, wenn es niemanden gibt, der es durchsetzt? Deutschland erstarrt in Routinen und Dienstwegen, bis an die Grenze zur Reaktionsunfähigkeit. Noch im April erklärten Wirtschafts- und Finanz­ministerium öffentlich, für die Kontrolle der Sanktionen sei das jeweils andere Haus zuständig. Wer sich heute, mehr als ein Jahr nach Kriegsbeginn, in deutschen Behörden umhört, was aus den Exportver­boten geworden ist, bekommt ernüchternde Antworten. Und aus der Justiz heißt es, man befasse sich allenfalls mit Gebrauchtwagenhändlern, die »dumm genug waren, bei der Zoll­anmeldung eines Fahrzeugs Russland als Ziel anzugeben«.
Der Zoll ist eine Behörde mit fast 50.000 Mitarbeitern. Doch offensichtlich gibt es niemanden, der systematisch Handelsströme in Russlands Peripherie überwacht und sich Firmen vornimmt, die seit Frühjahr 2022 auffallend gute Geschäfte machen, wie Mitarbeiter berichten. »Dafür fehlt uns schlicht das Personal«, sagt ein Zöllner. Aktiv werde man derzeit ausschließlich in Einzelfällen und falls Hinweise von außen eingegangen seien. »Wir laufen dem Problem hinterher«, sagt der Beamte.
Die Generalzolldirektion kommt zu ähnlichen Schlüssen. Für die »Einschätzung von Handelsströmen« sei generell das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zuständig, heißt es dort sperrig. Oder kurz: Die anderen sind schuld.
Von einem solchen Monitoring der Exporte will das Bafa wiederum auf Anfrage nichts wissen: »Für die Überwachung und Kontrolle von Sanktionsmaßnahmen sind die Zollbehörden zuständig«, teilt die Behörde mit.
Es ist ein System der delegierten Verantwortungslosigkeit. Erleichtert wird die Arbeit auch nicht durch die Tatsache, dass die Softwaresysteme von Bafa und Zoll nicht miteinander kompatibel sind.
Selbst in der Ampelkoalition ist inzwischen angekommen, dass »Sanktionen sinnlos sind, die wir nicht kontrollieren können«, wie ­Sebastian Fiedler sagt, kriminalpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Über Jahrzehnte sei das Thema von der Politik »sträflich vernachlässigt« worden. Die Zen­tralstelle zur Sanktionsdurchsetzung, die der Zoll nun in Köln aufbaue, sei deshalb »ein richtiger und wichtiger Schritt«.
Wie effektiv diese neue Institution tatsächlich sein kann, ist jedoch fraglich. Sie soll zunächst vor allem die freiwilligen Meldungen jener Menschen entgegennehmen, die erheb­liches Vermögen in Deutschland vor Sanktionen versteckt haben könnten, etwa von russischen Oligarchen. Es überrascht außerhalb der Berliner Ministerien wahrscheinlich nur wenige, dass diese Superreichen ihre getarnten Besitztümer bislang nur mit gebremsten Eifer angezeigt haben.
Eine in diesen Tagen in Berlin oft geäußerte Hoffnung lautet, die Kasachen mögen es doch selbst richten. Man wolle die Zöllner in dem zentralasiatischen Land schulen, damit sie genauer hinschauen bei den Warenströmen nach Russland. Die deutsche Wirtschaft hält das Vorhaben für aussichtsreich. Als Mitglieder einer Zollunion mit Moskau würden die Kasachen dann allerdings womöglich vertragsbrüchig gegenüber Russland.
Die USA und Großbritannien fordern die EU zum Durchgreifen auf. Brüssel müsse gegen Embargobrecher sogenannte extraterritoriale Sanktionen verhängen. Dann müssten bei Lieferungen an Russland auch Firmen aus anderen Ländern wie China und Kasachstan Strafverfolgung in Europa fürchten – und nicht mehr wie bislang nur Unternehmen mit Sitz in der EU.
Nun will die EU tatsächlich etwas Ähnliches auf den Weg bringen – obwohl sie vor nicht allzu langer Zeit vehement gegen solche Maßnahmen protestiert hatte. Zum Beispiel, als Washington im Streit um Nord ­Stream 2 versucht hatte, einen Hafen auf Rügen auf US-Linie zu bringen. Damals drohten sie Sassnitz mit Sanktionen, sollten russische Unternehmen beim Bau der Pipeline unterstützt werden.
Vergangene Woche listete die Kommission in einem ersten Schritt 15 Firmen aus Nicht-EU-Staaten auf, die in Verdacht stehen, militärisches Material an Russland verschoben zu haben. Unternehmen aus Kasachstan waren nicht dabei.

Unsichtbares Risiko

Das Versagen von Staat und Wirtschaft hat andere Akteure auf den Plan gerufen. Einen Mann aus Norwegen zum Beispiel. Sein Name ist Erlend Bollmann Bjørtvedt. Früher hat er für den Telenor-Konzern gearbeitet, inzwischen leitet der 54-Jährige die Unternehmensberatung Corisk in Oslo. Sein Job ist es, Firmen jene Risiken klarzumachen, die sie nicht sehen wollen.
Bjørtvedt sieht sich als »besorgten Experten«. Es falle ihm schwer zu sagen, was ihn aktuell mehr empöre, »die Brutalität der Russen oder das mangelnde Problembewusstsein vieler Exporteure«.
Ausgestattet mit Zugängen zu Exportdatenbanken und jeder Menge Wut im Bauch hat Bjørtvedt sich an die Recherchen gemacht. Er will Transparenz schaffen über die genauen Handelsströme via Kasachstan. Und er will aufrütteln: die Unternehmen, die Öffentlichkeit, die Behörden – und die Strafverfolger.
Im Falle Kasachstans sind die einzelnen Handelsbewegungen über private Datenbankanbieter auch online auswertbar. Über Monate hat Erlend Bollmann Bjørtvedt in Portalen wie »Export Genius« die Ausfuhren von 20 kriegswichtigen Gütern untersucht und seine Erkenntnisse mit [dem Medium] geteilt. Verdächtige Häufungen haben ihn auf die Firmen des Elix-Netzwerks und die Drohnenexporte aus der Nähe von Rotterdam aufmerksam gemacht.
Die Ergebnisse der Recherchen sind für die Wirtschaft brisant: Bjørtvedt hat 224 Firmen identifiziert, die drohen die Sanktionen unterlaufen zu haben. Davon kommen 54 aus Deutschland, 26 aus den USA, aber nur drei aus Großbritannien.
In seinen Analysen tauchen zahlreiche bekannte Namen auf. Da ist der Schmierölhersteller Bechem aus Hagen zum Beispiel. Laut Corisk sollen die Ausfuhren des Unternehmens nach Kasachstan vor Verhängung der Sanktionen gering gewesen sein, dann aber stark angezogen haben: Zwischen Juli 2022 und Februar 2023 will Bjørtvedt Bechem-Exporte von 670.000 Euro gefunden haben.
In russischen Zolldatenbanken wiede­rum finden sich Hinweise, dass der kasachische Abnehmer SpetsSosch Komplekt Teile der Lieferungen über die Grenze nach Russland verkauft haben soll. Bechem teilt mit, seit Sanktionsbeginn von Kunden aus ­Anrainerstaaten Russlands Endverbleibsdokumente für die Waren zu verlangen. In dem konkreten Fall habe man nun »eine interne Untersuchung eingeleitet«. Bis zu deren Ende werde es keine weiteren Lieferungen an das Unternehmen geben.
Bjørtvedt ist beim Durchkämmen der Einfuhren nach Kasachstan auch auf die Namen großer Konzerne gestoßen. Da ist zum Beispiel BASF aus Ludwigshafen. Seit die Sanktionen gegen Russland verhängt wurden, habe der Chemieriese Ausfuhren von Polyurethan und Polyamiden nach Kasachstan stark ausgeweitet. Diese Kunststoffe könnten zivil, aber auch zur Herstellung militärischer Schutzausrüstung genutzt werden. Eine Antwort von BASF steht aus.
In russischen Zolldaten finden sich bislang keine Hinweise auf die Weiterleitung von Lieferungen des Konzerns nach Russland. Die russische Zollstatistik hat allerdings auch offensichtliche Lücken. Das könnte zum Teil daran liegen, dass die Staatsgrenze von Kasachstan und Russland die zweitlängste Grenze der Welt ist. Es gibt dort keine Zollkontrollen, weil beide Staaten der von Moskau geführten Wirtschaftsunion angehören.
Erlend Bollmann Bjørtvedt will, dass seine Erkenntnisse Konsequenzen haben. Gemeinsam mit Aage Borchgrevink vom Norwegischen Helsinki Komitee, das eng mit dem Europarat und der Uno zusammenarbeitet, ist er nach Kiew gereist, um seine Erkenntnisse Beratern des ukra­inischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vorzutragen. »Wenn wir weiter so viel Güter nach Russland liefern lassen, untergraben wir unsere eigenen Anstrengungen und den Kampf der Ukrainer«, sagt Borchgrevink. Im April sprachen die beiden Norweger auch im Bundeswirtschaftsministerium vor.
Für deutsche Firmen haben sie einen Rat: Sie sollten bedenken, dass ihre Geschäfte Spuren hinterlassen, auf der einen oder der anderen Seite der Grenze. »Diese Beweise bleiben für immer«, sagt Bjørtvedt. Für Verstöße etwa gegen Südafrika-Sanktionen zu Zeiten der Apartheid seien Konzerne auch nach Jahrzehnten noch vor US-Gerichte gekommen.

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